Full text: Von der Gründung der Mark Brandenburg bis zum Wiener Kongreß (Teil 2)

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herrisch: es sei ihr Wille, daß nichts daran geändert werde. Der 
Kaiser widerstrebte noch immer, und gab erst nach, als Preußen und 
Bayern mit Frankreich ein förmliches Bündnis schlossen und eine 
drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der uneigen¬ 
nützige Beschützer der geistlichen Staaten kein Bedenken, seine Erb- 
lande durch die Bistümer Trient und Brixen abzurunden. In der 
Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile 
fort. Die russischen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie lang¬ 
weilig und ermüdend dies deutsche Gezänk werde; um jedes kleinen 
Länderfetzens willen müsse man einen eigenen Kurier schicken. Aber 
die Würfel waren geworfen, die mächtigeren Fürsten hatten ihre 
Beute bereits in Sicherheit gebracht. 
Am 25. Februar 1803 kam der Reichsdeputationshauptschluß 
zustande, am 27. April wurde durch den Jüngsten Reichsschluß die 
Vernichtung oon hundert und zwölf deutschen Staaten ausgesprochen. 
Von den geistlichen Ständen blieben nur drei übrig: die beiden 
Ritterorden — weil man dem so schwer geschädigten katholischen 
Adel noch einen letzten Unterschlupf für seine Söhne geben wollte — 
und der Reichskanzler in Germanien, weil Bonaparte in der fahrigen 
Eitelkeit des Mainzer Coadjutors Dalberg ein brauchbares Werkzeug 
für Frankreichs Pläne erkannte. Die Reichsstädte verschwanden bis 
auf die sechs größten. Mehr als zweitausend Geviertmeilen mit 
über drei Millionen Einwohnern wurden unter die weltlichen Fürsten 
ausgeteilt. Preußen erhielt fünffachen Ersatz für seine links¬ 
rheinischen Verluste, Bayern gewann an 300000 Köpfe, Darmstadt 
ward achtfach, Baden fast zehnfach entschädigt. Auch einige fremd¬ 
ländische Fürstenhäuser nahmen ihr Teil aus dem großen Raube, 
so Toskana und Modena, die Vettern Österreichs, so Nassau-Oranien, 
der Schützling Preußens. Vergessen war der friderizianische Grund¬ 
satz, daß Deutschland sich selber angehöre. Die Mitte Europas 
erschien ben Fremden wieder, wie im siebzehnten Jahrhundert, als 
eine herrenlose Masse, eine Versorgungsstelle für die Prinzen aus 
allerlei Volk. Das heilige Reich war vernichtet; nur sein geschändeter 
Name lebte noch fort durch drei klägliche Jahre. 
Wenige unter den großen Staatsumwälzungen der neuen 
Geschichte erscheinen so häßlich, so gemein und niedrig wie diese 
Fürstenrevolution von 1803. Die harte ideenlose Selbstsucht 
triumphierte; kein Schimmer eines kühnen Gedankens, kein Funken 
einer edlen Leidenschaft verklärte der ungeheuren Rechtsbruch. Unb 
boch war ber Umsturz eine große Notwenbigkeit; er begrub nur, 
was tot war, er zerstörte nur, was bie Geschichte breter Jahrhunberte 
gerichtet hatte. Die alten Staatsformen verschwanben augenblicklich, 
wie von ber Erbe eingeschluckt, unb niemals ist an ihre Wieber- 
aufrichtung ernstlich gebacht worben. Die fratzenhafte Lüge ber 
Theokratie war enblich beseitigt. Mit ben geistlichen Fürsten stürzten 
auch bas heilige Reich unb bie Weltherrschaftsansprüche bes römischen 
Beyer, Lesebuch zur Deutschen Geschichte. II. g
	        
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