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eine neue Front in der Richtung von Nordwest nach Südost, welche
am Ostausgang des Dorfes die ursprüngliche Stellung beinahe senk¬
recht durchschnitt.
Auf Leuthen richtete sich jetzt der konzentrische Angriff des
Vortreffens und des rechten Flügels der Preußen. Der König
wählte seinen Standort an dem Gehölz von Radaxdorf, wo er einen
Augenblick nicht bloß von den österreichischen Batterien, sondern auch
aus seinen eigenen Geschützen Feuer erhielt. Das stattliche Dorf
Leuthen mit feinen zahlreichen geschlossenen Gehöften und einge¬
zäunten Gärten lag in seiner ganzen Länge vor der Front der
Angreifer. Das zweite und dritte Bataillon Garde und die Grenadier¬
garde stießen gerade auf die Mitte des Ortes, wo der hochgelegene
Friedhof der katholischen Kirche, dicht mit Kanonen besetzt, der
Brennpunkt der Verteidigung wurde; in die feste Steinmauer mußte
förmlich Bresche geschossen werden.
Etwa eine Stunde währte der Kampf, bis Leuthen in den
Händen der Preußen war. Hinter dem Dorfe erwartete sie neuer
Widerstand. Vom rechten Flügel her waren die Grenadierkompagnien
des Reservekorps angelangt, aus der Höhe zwischen den Windmühlen
die drei Hauptbatterien zusammengezogen. Die preußische Linie war
während des Einzelgefechtes in den Straßen und Gehöften aus¬
einandergekommen, die Bataillone des zweiten Treffens mußten in
die Lücken eintreten, schon auch Bataillone ans dem zurückgehaltenen
linken Flügel. Dieser selbst hatte sich in dem Maß, als der Kampf
vorrückte, nach rechts dem Angriffsflügel nachgeschoben und war so
doch auch in den Bereich der österreichischen Batterien gekommen:
einige Abteilungen gingen in Unordnung zurück, ein Bataillon aus
dem zweiten Treffen, durch den Adjutanten Retzow, den Sohn des
diesen Flügel kommandierenden Generals, vorgeführt, zog durch sein
Beispiel die Wankenden nach, und der ganze Flügel ging nun zum
Angriff über.
Somit waren sämtliche preußische Bataillone in die Feuerlinie
getreten — eine bedenkliche Wendung, die den Absichten des Feld¬
herrn nicht minder widersprach, als die bei Prag und Kolin be¬
klagten Abweichungen vom Schlachtplan, die aber hier durch die
Achsenwendung des gegnerischen Heeres unvermeidlich geworden war.
Noch wehrt sich die österreichische Infanterie hartnäckig; wird die
Reiterei sie noch einmal heraushauen und auch die heutige Schlacht
noch im letzten Augenblick wiederherstellen? Lucchesi erspäht sich
die Blöße des schwachen linken Flügels der Angreifer und schickt
sich an, mit seinen noch frischen Schwadronen sie dort in der Flanke
zu fassen. Aber die preußische Kavallerie ist heute anders am Platze,
als am 18. Juni. Bei Radaxdorf hält, dem Auge des Gegners
durch eine Bodenerhebung entzogen, General Driesen, nicht ein
jugendlicher Held wie Seydlitz, fast ein Sechziger, untersetzt und
schweren Leibes, aber warmblütig und lebhaft, klar und entschlossen,