Full text: Vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart (3)

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sie nicht einmal fähig, die reaktionäre Politik resolut durchzuführen; 
hatten sie sich doch selbst weit eher als die Großstaaten den liberalen 
Meinungen ergeben, sich in der Zeit, da Preußen und Österreich 
noch absolut regiert waren, damit gebrüstet und die Gunst der 
öffentlichen Meinung gewonnen; die Bewegung von 1848 hatte ihre 
Gebiete am frühesten ergriffen, und vor allem ihre Kammerordner 
waren die Wortführer in Frankfurt gewesen; noch zitterte überall 
unter ihnen der Boden, und nur die Hoffnung auf die Hilfe der 
Großmächte konnte ihnen Mut machen, gegen die Demokratie vor¬ 
zugehen. Daß sie von Wien aus dabei im Stich gelassen wurden, 
brauchten sie nicht zu besorgen, solange wenigstens Schwarzenbergs 
Programm intakt blieb. Denn für Österreich war es von jeher eine 
Lebensfrage gewesen, die Demokratie zu fesseln, und seit der Revo¬ 
lution hatte es die Freundschaft der Kleinen noch nötiger als sie die 
seine. Hier lag, wie Bismarck sehr bald durchschaute, eine der 
Wurzeln des Zwiespaltes der deutschen Vormächte. Der Rückhalt, 
den das Donaureich in der vormärzlichen Epoche an dem Bunde mit 
Rußland und Preußen gehabt hatte, war durch die deutsche Be¬ 
wegung zerbrochen worden, und die gemeinsame Reaktion hatte nicht 
vermocht, das alte Vertrauen wieder herzustellen, die Interessen der 
drei Mächte waren auseinander gewichen. Das war es, und nicht 
sowohl persönliche Willkür und der Ehrgeiz seiner Staatsmänner, 
was Österreich antrieb, Metternichs Traditionen aufzuheben. 
? Iv/M i Bismarck war auch in Deutschland bereit, mit Österreich zu 
H r^Ä/gehen, aber so, daß beide Mächte sich in Men Einfluß teilten^ vom 
europäischen Standpunkt aus, gleichLerM^gL^alsGroßmächte sollten 
sie über die Geschicke der Ration entschei^m^Wß'^sterreich auf 
diesem Wege große Vorteile gewinnen konnte, lag auf der Hand. 
Der Bund beider Mächte stellte Deutschland unbedingt zu ihrer 
Verfügung; die Kleinen hätten es nicht wagen sollen, sich zwischen 
den beiden Großstaaten zu rühren; auch die revolutionären Elemente 
in Ungarn und Italien konnten, solange Preußen treu blieb, nieder¬ 
gehalten werden; die europäische Stellung des von inneren Kalami¬ 
täten erfüllten Kaiserstaates war mit einem Schlage gesichert, wenn 
es ihm gelang, sich mit der gesunden preußischen Kraft zu ver¬ 
koppeln. Und nichts anderes war es schließlich, was Schwarzenberg 
wollte. Aber Bedingung Preußens im Sinne Bismarcks war, daß 
Österreich die Grundlagen seiner Politik ausgab, seine alten Tradi¬ 
tionen und die neuen Hoffnungen, alle Sympathien und Freund¬ 
schaften, die ihm in Deutschland daraus erwuchsen, und daß es sich 
auf den Boden hinüberziehen ließ, der für die Hohenzollern der an¬ 
gestammte war; es wäre in Abhängigkeit geraten von dem Staat, 
der auf seine Kosten, im Kampf mit ihm, groß geworden war. Und 
konnte es erwarten, daß die Freundschaft von Dauer sein würde? 
Doch nur, wenn Preußens Interessen, denn zunächst war dies der 
gebende und Österreich der empfangende Teil, befriedigt wurden.
	        
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