Full text: Von der Urzeit bis zum Dreißigjährigen Kriege (Teil 1)

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einen Primas haben mit seinem eignen Gericht und seinen Kanzleien 
der Gnade und Gerechtigkeit, vor welchen die Appellationen von den 
deutschen Bischöfen zu bringen sind. Denn auch die Bistümer sollen 
eine grj^ereJJjiaf^^ Luther schilt auf dieJSingriffe, 
welche der ronufche ©tuhl^tch damals in dem Sprengel voDNraß- 
burg erlaubt hatte. Die Bischöfe sollen von den schweren Eiden 
befreit werden, womit sie der Papst verpflichtet. Klöster möge es 
noch geben, aber in geringer Anzahl, unter bestimmten strengen 
Beschränkungen. Den niederen Geistlichen soll es freistehen, sich zu 
verbeiraten. Ich brauche nicht auszuführen, welche weiteren Ver¬ 
änderungen sich ihm hieran knüpfen: sein Sinn ist offenbar. Man 
lf könnte nicht sagen, er habe die Einheit der lateinischen Christenheit 
! sprengen, die geistliche Verfassung geradehin auslösen wollen. Jnner- 
Uhalb der Grenzen ihres Berufes erkennt er die Unabhängigkeit, ja 
hinwiederum bie Superiorität der Geistlichen an; aber eben auf 
diesen Beruf will er sie zurückführen unb dabei zugleich, wie das 
denn überhaupt ein allgemeiner Wunsch war, nationalisieren, von 
i den täglichen Eingriffen Roms unabhängiger machen. 
Es war das aber nur die eine Seite feines Angriffes, erst 
das Zeichen zur Schlacht; unmittelbar folgte dieser selbst in aller 
seiner Kraft. Im Oktober 1520 erschien die Schrift von der baby- 
</. tonischen Gefangenschaft der Kirche; denn unter dem Gesichtspunkte 
etneFber Kirche zugefügten Gewalt betrachtete Luther bie burch bas 
Zusammenwirken ber Scholastik unb ber Hierarchie allmählich ge¬ 
schehene Festsetzung ber lateinischen Dogmen und Gebräuche; eben 
in dem Mllkelpunkte ihres Daseins, in "der-^ehre von TietT Sakra¬ 
menten , zunächst dem wichtigsten derselben, der Eucharistie, griff er 
sie an. Man würde ihm Unrecht tun, wenn man hier eine nach 
allen Seiten ausgearbeitete Theorie davon suchen wollte; er hebt zuerst 
nur die Gegensätze hervor, in welche die obwaltende Lehre mit der 
ursprünglichen Stiftung geraten fei. Er verwirft die Kelchentziehung, 
nicht deshalb, weil nicht auch in dem Brote das ganze Sakrament 
wäre, sondern weil an den ursprünglichen Institutionen Christi nie¬ 
mand etwas zu ändern habe. Er will darum noch nicht, daß man 
sich den Kelch mit Gewalt zurücknehmen solle; er bestreitet nur die 
I Argumente, mit denen man bie Entziehung aus der Schrift hatte 
herleiten, rechtfertigen wollen: den Spuren des älteren, ungehinderten 
| (Gebrauches geht er eifrig nach. Dann kommt er auf die Lehre von 
der Transsubstantiation. Er fand überdies, daß es unrecht sei, in 
die Schrift etwas hineinzutragen, was nicht darin liege, daß man 
ihre Worte nur in der einfachsten, eigentlichsten Bedeutung zu nehmen 
habe; für ihn war es kein Argument mehr, daß die römische Kirche 
jene Vorstellungsweise bestätigt habe. Fast noch wichtiger aber war 
für Luthers praktischen Standpunkt die Lehre, daß die Celebration 
des Sakramentes ein verbienstliches Werk, baß sie ein Opfer sei. 
Sie knüpfte sich an jene mysteriöse Vorstellung von ber Identität
	        
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