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unmerklichen Zeit geschieht. Der nämliche Fall ist, wenn ein
hinter einer Wolke versteckter Stern wieder sichtbar wird. Sollte
aber ein Stern augenblicklich verdunkelt werden, so würden wir
ihn noch eine Zeit lang sehen, auch wenn er nicht mehr leuchtet.
Hingegen würden wir ihn auch sehr lange nicht sehen, nachdem
er schon wieder zu leuchten angefangen hattte. Sollte die Sonne
einmal plötzlich verlöschen, so würden wir dies nicht augenblicklich
merken, sondern sie noch beinahe 8 Minuten am Himmel sehen.
Hatte Gott dem Lichte nicht die unbegreifliche Schnelligkeit ver¬
liehen, so würden wir ein schnell laufendes Wild nicht mit dem
Feuergewehre treffen und einem auf uns zufliegenden Steine
nicht ausweichen können. Wird in einer bedeutenden Entfernung
auf der Erde plötzlich ein Licht sichtbar, wie z. B. beim Ab¬
feuern einer Kanone, so erblicken wir das Feuer fast in demsel¬
ben Augenblicke, in welchem es entsteht.
§. 55.
Der Sehwinkel oder die scheinbare Größe -er Gegenstände.
(Kdrsr. I. Anh. V. §.7. 7.)
Halten wir uns ein Lineal dicht vor das Auge, so erscheint
es uns so groß, daß wir seine Länge gar nicht übersehen können.
Je weiter es sich vom Auge entfernt, desto kleiner kommt es
uns vor, bis es in sehr großer Ferne endlich ganz verschwindet.
Dasselbe können wir an jedem andern Gegenstände wahrnehmen.
Wenn man von den äußersten Enden eines Gegenstands gerade
Linien nach der Mitte des Auges zieht, so heißt der Winkel, den
sie hier bilden, der Sehwinkel (Fig. 29. ACB). Er bestimmt
die scheinbare Größe des Gegenstandes; denn nachdem er groß
oder klein ist, sieht uns der Gegenstand auch groß oder klein
aus. Bei einerlei Gegenstand wird der Sehwinkel desto kleiner,
je weiter der Gegenstand vom Auge entfernt ist. AB, ab, cd
sind gleich große Gegenstände von verschiedenen Entfernungen,
und man sieht aus der Figur, daß der Sehwinkel von jedem
entfernteren Gegenstände kleiner ist, als von dem näheren. Da¬
her hängt unser Urtheil über die Größe eines Gegenstandes auch
von der Entfernung desselben ab. Sonne und Mond sind sehr
verschieden an Größe; dennoch erscheinen sie uns beinahe gleich
groß, weil die Sehwinkel, unter denen wir beide wahrnehmen,
beinahe einerlei sind. Eine Allee scheint uns immer enger und
niedriger zu werden, weil die entfernteren Bäume, so wie ihre
Abstände von einander immer kleinere Sehwinkel haben. Wenn
der Sehwinkel eines bloß erleuchteten, nicht selbst leuchtenden
Gegenstandes bis auf 1/2° abnimmt, so verschwindet der Gegen¬
stand gänzlich aus dem Gesichte; leuchtende Körper aber sind