150 Das Königreich Preußen.
ohnmächtig zeigte, nicht befriedigt. Der Wunsch der gebildeten Deutschen
ging nach einer Staatsform, durch welche die Einheit und mit ihr die Stärke
des gemeinsamen Vaterlandes zum Ausdrucke gebracht werden könnte.
Gegenüber den Bestrebungen ihrer Völker waren die Fürsten der Heiligen
Allianz bemüht, den Absolutismus und die Territorialbestimmungen des Wiener
Kongresses aufrecht zu erhalten. Darum suchten die Unterthanen in verschiedenen
Ländern auf dem Wege der Gewalt zu ihrem Ziele zu gelangen. Bald in dieser,
bald in jener Hauptstadt kam es zur Revolution, und es bewahrheitete sich der Ausspruch
Mirabeaus (mirabos), eines hervorragenden Redners in der konstituierenden National¬
versammlung Frankreichs: „Die Revolution wird die Reise um die Welt machen."
Preußen blieb während der Regierung Friedrich Wilhelms III. jedoch von Unruhen
verschont, und auch im übrigen Deutschland kam es nicht zu blutigen Staatsumwälzungen.
Auf Anregung des Jenenser Studenten Massmann wurde am 18. Oktober 1817
zum Gedächtnis der Leipziger Völkerschlacht und zugleich als 300jähriges Jubiläum
des Beginnes der Reformation unter Beteiligung von vielen deutschen Universitäten
auf der Wartburg ein Burschenfest gefeiert. Am Abende des Festtages verbrannten
einige Festteilnehmer aus Jahns Anhang eine Anzahl ihnen mißliebiger Schriften
samt einem Schnürleib, einem Zopf und einem Korporalstock. Dem unüberlegten
Studentenstreich ward unverdiente Bedeutung beigelegt. Die Regierungen glaubten
in ihm eine Bethätigung revolutionärer Gesinnung zu erkennen und waren geneigt,
als Herde derselben die Universitäten und Turnplätze zu betrachten. Ihr Verdacht
fand neue Nahrung, als in Mannheim der Student Sand den als Lustspieldichter
bekannten russischen Staatsrat von Kotzebue ermordete, der in russischem Solde in
seinem deutschen Vaterlande die neuen politischen Ideen litterarisch bekämpfte und
über die politischen Zustände dem Zaren regelmäßig Bericht erstattete. Eine Konferenz
von Ministern der bedeutenderen deutschen Staaten beschloß unter dem Vorsitze des
Fürsten Metternich, des leitenden Staatsmannes in Österreich, in Karlsbad 1819
ein scharfes Vorgehen gegen „demagogische Umtriebe". Die Turnplätze wurden gesperrt,
die Universitäten kleinlich beaufsichtigt, die Preßerzeugnisfe einer strengen Zensur
unterworfen; in Mainz begann eine Zentral-Untersuchungs-Kommission ihre unheil¬
volle Thätigkeit. Jahn wurde bei Nacht verhaftet und mußte Jahre lang auf der
Festung zubringen. Arndt, der in Bonn als Professor der Geschichte wirkte, wurde
seines Amtes enthoben. Noch andere wahrhaft patriotische und um das Vaterland
verdiente Männer sahen sich in kränkende Untersuchungen verwickelt. Aber die voraus¬
gesetzte revolutionäre Verschwörung war nicht zu entdecken, weil sie eben nicht vor-
Handen war. Die Demagogenjagd nahm nach dem thörichten „Frankfurter Putsch", —
eine Handvoll bewaffneter Studenten überrumpelte die Wachen in der freien Stadt,
mußte aber schon nach einer Stunde vor dem Militär fliehen — noch gehässigere
Formen an. Zu denen, die jugendliche Unbesonnenheiten schwer büßen mußten, ge¬
hörte auch der als Dialektdichter später berühmt gewordene Fritz Reuter.
Provinzialstände. Friedrich Wilhelm III. hatte seinem Volke, als
es 1815 erneut gegen Napoleon zog, eine Volksvertretung verheißen.
Demgemäß richtete er 1823 Provinzialstände ein. Sie bestanden
zur einen Hälfte aus Vertretern der Rittergutsbesitzer, zur anderen ans
Abgeordneten der grundbesitzenden Städter nnd Landleute. Ihre Wirk¬
samkeit beschränkte sich auf die Begutachtung von Gesetzentwürfen, welche
die Provinz betrafen.