Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

Das Sparkassenbuch. 
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II. 
. Der Meister fragte mich oft, was mir fehle, ich sähe so verstört 
und ubernächtig aus. Ich konnte es ihm nicht sagen, und wenn er 
und die Meisterin und die Kinder ein freundliches Wort mit mir sprachen, 
fuhr es mir wie ein zweischneidig Messer durch die Seele: die denken noch 
mmer, du seist brav. Die wissen nicht, was du gethan und was du 
noch thun willst, du betrügst sie um ihre Gutheit. Sie würden dich alle 
hinausjagen, wenn sie wüßten, wer du bist. — Oft, wenn ich zu Tische 
saß, war mir, als müßte jetzt plötzlich ein Gerichtsdiener kommen, mich 
in Retten legen und in ewige Gefangenschaft bringen. Ich hielt mir 
oft die Hand an den Mund und schrak plötzlich zusammen; denn ich 
fürchtete oft, daß ich unwillkürlich alles aussprechen würde, was vor— 
gegangen war. Ich konnte gar nicht begreifen, wie ich die Worte zu— 
rückhielt, womit ich sie bannte? Warum sprach ich das aus und nicht 
auch das andere? Ich meinte oft, ich hätte schon alles verraten, ich 
wußte nicht mehr, was von mir bekannt und was verborgen war. Wenn 
man mich etwas fragte, stotterte ich; denn ich mußte vorher die Worte 
und Gedanken wegschieben, die zuerst herauswollten. 
2. Noch heutigen Tages habt ihr mir schon oft vorgeworfen, und 
meine Katherine neckt mich besonders gern damit, daß ich lieber alles 
thue, als mir ein Geheimnis aufladen zu lassen. Und es ist wahr, wenn 
ich etwas habe, das ich verborgen halten muß, ist mir immer, als hätte 
ich ein Glas in der Tasche, und unversehens wird mir's zerschlagen. 
Könnt euch also denken, wie hart es mir wurde, ein schweres Geheimnis über 
mich selbst zu bewahren. Daß ich von da an nichts mehr in die Spar— 
kasse that, versteht sich von selbst, ja ich machte allerlei Umwege, nur 
um nicht durch die Straße zu gehen, in die jetzt die Kasse verlegt war. 
Ich konnte mit niemand von meiner Seelenqual reden, als mit dem 
Pfälzer, und als ich ihn einst in stiller Nacht fragte, ob auch er glaube, 
daß es Menschen gebe, die ein Verbrechen gethan und dennoch heiter 
und wohlauf lebten, da lachte er mich laut aus und wußte hundert Ge⸗ 
schichten zu erzählen von Cug und Trug, und daß der ein Varr sei, der 
nicht nehme, wo er nehmen könne. Der Meister nahm noch mehrere 
Gesellen; denn wir hatten viel Arbeit bei der Einrichtung des neuen 
Zuchthauses, und jetzt waren so viele Fremde in der Schlafkammer und 
überall bei uns, daß ich mit dem Pfälzer selten ein heimliches Wort 
eden konnte. Nur als wir einst im Zuchthaus arbeiteten, sagte er zu 
mir: „Siehst duꝰ Da herein kommen die dummen armen Teufel; wir, 
wir gehören zu den Großen, und wir fahren in Kutschen wie die Großen.“ 
Ich sah, wie die Welt nichts merkt von dem, was in einem vor— 
geht, und eine gewisse Ruhe kam endlich über mich. Nur wenn die 
RKinder des Meisters beim herannahenden Weihnachten an Feierabenden 
hüpfend und springend plauderten: „Ich weiß was, aber ich darf's nicht 
sagen“, zuckte mir das wie ein Blitz vom Himmel, nein wie ein Schwert 
durch die Seele. Diese guten Kinder wußten von Bescherungen, die für
	        
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