Full text: Die neuere Zeit (Bd. 3)

auf der anderen Seite der Zahltisch mit Ablaßzetteln, Schreibzeug und 
Geldkörben; dort verkauften die geistlichen Gehilfen dem andrängenden 
Volke das ewige Heil." Tezel behauptete, sein rotes Kreuz sei ebenso 
kräftig als das Kreuz Christi; er pflegte sich zu rühmen, er habe schon 
mehr Seelen erlöset als Petrus; seine Rede war: wenn das Geld im 
Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt. Er hatte ungeheuern 
Zulauf; selbst die Ärmsten opferten ihm ihr Scherflein. Jede Sünde 
hatte ihre Taxe: Ablaß für Mord kostete 8, für Meineid 9 Dukaten; 
für 4 Groschen konnte eine Seele aus dem Fegefeuer erlöst werden. 
Die Entrüstung über dieses dreiste Treiben war allgemein;*) 
aber es gehörte ein ungewöhnlicher Mannesmut dazu, diesem 
im Aufträge des Papstes handelnden Mönche entgegenzutreten. 
§. 8. Da trieb Gewissensnot den Dr. Martin Luther 
in den Kampf hinein. In unmittelbarer Nähe von Wittenberg, 
in Jüterbogk, übte Tezel seinen Handel, und viele Beichtkinder 
Luthers kauften sich um ihrer Bequemlichkeit willen Ablaß für 
ihre Sünden. Dies ging dem treuen Seelsorger zu Herzen; 
er predigte dagegen; in eindringlichen Briefen bat er die benach¬ 
barten Bischöfe, wider den Unfug einzuschreiten. Als alles nichts 
half, griff er zur That. Am 31. Oktober 1517 schlug er, 
95 Thesen nach damaliger Sitte, 95 Sätze (Thesen) gegen den Ablaß 
gegen den Ab-an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg**) und erbot sich, sie 
laß 31. Okt. gegen jedermann zu verteidigen. 
Der erste Satz lautete: „Indem unser Herr Jesus Christus sagt: 
er esorma . Buße und bekehrt euch, wollte er, daß das ganze Leben der Gläubigen 
Buße fei." Damit verwarf er die Grundlage der Lehre vom Ablaß. 
Gegen Tezels unwürdige Handlungsweise richteten sich die Sätze: „Die 
predigen Menschentand, die da fürgeben, daß, sobald der Groschen in 
den Kasten geworfen klinget, von Stund an die Seele aus dem Fegefeuer 
fahre"; „sagen, daß das Kreuz mit des Papstes Wappen herrlich 
ausgericht, vermöge so viel als das Kreuz Christi, ist eine Gotteslästerung. 
Solche freche und unverschämte Predigt und Ruhm vom Ablaß macht, 
daß es auch den Gelehrten schwer wird, des Papstes Ehre und Würde 
zu verteidigen für derselben Verläumdung oder gar für den scharfen 
listigen Fragen des gemeinen Mannes." — Es lag ihm also bei dieser 
Ausnahme des Kampfes gegen Tezel nichts ferner, als das Ansehen des 
Papstes untergraben oder gar eine Kirchentrennung herbeiführen zu 
*) „Überall in Deutschland regte sich die Opposition. Aber noch war 
der Mann nicht gesunden, der allen Schmerz und alle Sehnsucht des Volkes 
in furchtbarem innern Kampfe durchfühlen sollte, um selbst zum Führer 
seiner Nation zu werden, die in ihm mit Begeisterung ihr eigenstes Wesen 
zu geschlossenem Charakter verkörpert sah." (Freytag: Bilder II. 2. 38.) 
**) Jetzt zeigen die Thüren der Schloßkirche dieselben in Eisen gegossen.
	        
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