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führt worden, wo ich unter Prinzen und Obersten aller Art
und allerlei \ olkes des Mittags bei Braten und Weinen, des
Nachts aui Stroh und Heu mitgelebt habe. Antonie war
die Tochter einer schönsten Prinzessin Reuß-Vogtland und
die Schwester des jetzigen Königs der Belgier 1), wie alle
ihre Geschwister stattlich und schön und glückliche Mutter
von einem halben Dutzend Söhne und Töchter.
Diese edle Frau Antonie war nun ganz von den deut¬
schen Gefühlen für Freiheit und Vaterland durchglüht und
\on Stein und von dessen Wollen und Wirken begeistert.
Bei ihr erging man sich nicht nur in frohester Hoffnung,
sondern auch in freiester Rede, wie sie in Kaiserschlössern
wohl selten erklingt, über Fürsten und Völker, wozu Stein
wahrscheinlich zuerst den Ton angegeben hatte, und welcher
sich in gleichem Sinn oft so ungezwungen fortsetzte, als wäre
man im Hause eines guten Edelmannes oder reichen Plebe¬
jers gewesen. Hier saß mein Minister mit heiterer Miene,
in einer oder anderen Ecke irgend ein Bojar oder Diplomat;
auch der Schwede Armfeit war oft da, fast immer aber ein
kleiner, dicker Mann, der seine eigne dunkle Ecke hatte,
von wt> heraus er mit freundlichsten Augen wie ein stiller
Späher lauschte; er schien russisch schweigen gelernt zu
haben. Dies war Oubril, der im Jahre 1805 vor dem Kriegs¬
ausbrüche der sogenannten dritten Koalition auf deutschem
Boden viel umhergefahren war und zwischen Napoleon,
Rußland, Österreich, England usw. unterhandelt hatte.
Aber außer diesen stehenden Gästen waren oft auch
einige nicht hochbetitelte Plebejer da, Gelehrte und Aka¬
demiker, unter ihnen der lebendigste, der Leibarzt Trinius 2).
Da ward denn auf eine in Petersburg bis jetzt gewiß un¬
erhörte Weise, wie die Welt frei und glücklich werden solle,
x) Leopold I.
■) Leibarzt der Herzogin Antonie, gest. 1844, ein Freund
Arndts.