1. Heimat, Land und Volk.
Schild und Speer, Keule und Schleuder. Ging der Schild verloren, so
war die Ehre des Mannes dahin. Vor der Schlacht opferten sie. (Fig. 6.)
Der Körperbau der Germanen flößte den Römern Schrecken ein.
Ihr trotziges, blaues Auge, ihr rötlichblondes Haar, ihr mächtiger Wuchs,
ihr verwildertes Aussehen machten sie furchtbar. (Fig. 3.) Frost und
Hunger ertrugen sie ohne Mühe, Durst und Hitze nicht. Tüchtig zum
stürmischen Angriff, hatten sie feine Ausdauer; sie waren nicht ge¬
wöhnt, Strapazen lange zu ertragen. Die Ersolge der Römer haben
Tacitus recht gegeben. Zwar waren die Germanen kampfgeübt wie die
Römer, aber sie führten ihre Stammesfehden mehr der Beschäftigung als
des Erfolges wegen. Dann war die größere Ausdauer der Römer bedingt
dlisch das kalte Klima Germaniens; in einem viel wärmern Klima erzogen,
strengten sie sich im Kampfe mehr an, zunächst um warm zu werden. Wohl
haben die militärische Schulung und die bessern Waffen der Römer viel
zu ihren Siegen beigetragen; aber daß die einfachen Waffen der Germanen
den römischen gewachsen waren, hat die Varusschlacht bewiesen.
Zahlreiche Herden waren ihr liebster Reichtum.
An bestimmten Tagen, bei Neumond oder Vollmond, versammelten
sich die freien Germanen auf den Ruf ihrer Häuptlinge zur Volks¬
versammlung, um über die gemeinsamen Angelegenheiten des Stammes
zu beraten. Alle erschienen im Waffenschmuck; manchmal aber vergingen
zwei bis drei Tage, ehe die Berufenen herbeikamen und die Versammlung
eröffnet werden konnte. Die Priester eröffneten die Verhandlungen; dann
nahm das Wort der König oder der Häuptling; überhaupt durfte das
jeder, den Alter, Rang, kriegerische Verdienste oder Beredsamkeit dazu
berechtigten. Mißfiel ein Antrag, so murrte die Versammlung; gefiel er,
so rasselte man mit den Speeren.
Auch die schweren Verbrechen wurden von der Volksversammlung
gerichtet. Verräter und Überläufer hängte man an einen Baum, der
Feige und Fahnenflüchtige wurde in einen Sumpf versenkt; leichtere Ver¬
gehen bestrafte man durch Wegnahme von Pferden oder Kühen. Ein
Teil dieser Strafe wurde an den König oder an die Gemeinde gezahlt.
Die Strafe für den Totschlag, das Wergeld genannt, richtete sich nach
dem Stande des Erschlagenen. Doch war dessen Familie nicht gezwungen,
das Wergeld zu nehmen; es stand ihr frei, Blutrache au dem Mörder
zu üben.
In der Volksversammlung wurden ferner die Häuptlinge gewählt
und die jungen Germanen wehrhaft gemacht. Dies geschah durch Über¬
reichung von Schild und Speer. Nach der Wehrhastmachung traten die
Jünglinge in das Gefolge eines Fürsten oder Häuptlings, um Kriegs-
ruhm zu erwerben. Fanden sie daheim keine kriegerische Beschäftigung, fo
traten sie in sremden Kriegsdienst. Viele Germanen dienten im römischen
Heere; die Leibwache des Angustus bestand aus Germanen.