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Das Mittelalter.
Die alten Germanen hatten, wie Tacitns berichtet, trotzige
blaue Augen, rötlich blondes Haar und einen gewaltigen Körper¬
bau. Sie wohnten nicht in Städten und hinter Mauern, ja sie
duldeten nicht einmal enganeinander grenzende Wohnungen; ein
jeder umgab sein Haus mit einem weiten Hofraume. Die Männer
trugen ein Obergewand aus Tierfellen oder aus grober Wolle,
das sie mit einem Dorn auf der rechten Schulter zusammenhefteten;
die Weiber hüllten sich in leinene Gewänder, die mit roten Streifen
verbrämt waren. Die Nahrung der alten Germanen war einfach:
wildes Obst, frisches Wild, geronnene Milch. Nicht so anspruchs¬
los waren sie in Bezug auf das Trinken; Volksversammlungen
und religiöse Feste gaben häufig Anlaß zu Schmausereien, bei
denen unmäßig getrunken wurde und Zank und ernster Kampf
nichts Ungewöhnliches waren.
Das ganze Volk der Germanen zerfiel in eine Menge un¬
abhängiger Stämme und jeder Stamm wieder in drei Stände:
Freie, Hörige und Sklaven. Die Freien (zum teil Adlige)
waren die Herren des Grundes und Bodens, die Hörigen bewirt¬
schafteten Haus und Acker eines Freien und entrichteten eine jähr¬
liche Abgabe, die Sklaven waren Kriegsgefangene oder solche, die
ihre Freiheit im Spiel verloren hatten.
Eine staatliche Gliederung bildeten die Gaue, die Verbindung
einer größeren Anzahl Dörfer, an deren Spitze Fürsten oder Gau¬
grafen standen. Die entscheidende Gewalt lag aber in den Händen
der Volksversammlung, in der die freien Familienväter über Krieg
und Frieden entschieden, die Fürsten für die einzelnen Gaue be¬
stellten, die Richter wählten, den obersten Gerichtshof bildeten und
den Freien, wenn er in das waffenfähige Alter, trat, wehrhaft
machten. In Kriegszeiten führte der Landesfürst den Oberbefehl,
der an der Spitze des aus allen freien und wehrhaften Männern
gebildeten Heerbannes das Land gegen feindliche Angriffe ver¬
teidigte. Dem Zwecke des Eroberungskrieges diente die Ge¬
folgschaft unter der Führung eines selbstgewählten Herzogs.
Als höchsten Gott verehrten die Germanen den Wodanf
den allwissenden Welt- und Schlachtenlenker. Er sitzt auf gol¬
denem Throne in der Walhalla, die alle Burgen in Asgard,