Full text: Das Mittelalter (Bd. 2)

Jagd, welche in den wildreichen Wäldern reichen Ertrag lieferte. 
Gleich nach dem Schlafe, den sie gewöhnlich bis in den Tag 
ausdehnten, badeten sie in kaltem, öfter noch in warmem Wasser 
Dann speisten sie und gingen bewaffnet an ihre Geschäfte und 
ebenso oft zu Trinkgelagen. Tag und Nacht fortzutrinken brachte 
keine Schande, und oft entstand blutiger Streit unter den Trunkenen. 
Auch wichtige Angelegenheiten, Wahl der Oberhäupter, Krieg 
und Frieden wurden meistens beim Gelage verhandelt, aber erst 
am folgenden Tage ward der entscheidende Beschluss gefasst. 
Das Würfelspiel trieben sie mit solcher Leidenschaft, dass sie 
nach Verlust ihrer ganzen Habe ihre eigene Person und Freiheit 
auf einen Wurf setzten. Gastfreundschaft übten sie in ausge¬ 
dehntem Masse; jeder gab nach Vermögen von den Vorräten des 
Hauses, und waren diese aufgezehrt, so trat der Wirt mit seinem 
Gaste ungeladen in das nächste Haus, wo ihnen eine gleich 
freundliche Aufnahme gewiss war. Ausgezeichnet war ihre Sitten¬ 
reinheit; Vielweiberei war bei ihnen fast unbekannt, nur die 
Vornehmen gingen bisweilen standeshalber mehrere Ehebündnisse 
ein. Die Mitgift brachte nicht das Weib dem Manne, sondern 
der Mann dem Weibe zu; geschenkt wurden nicht Schmucksachen 
zu weiblicher Tändelei, sondern Ochsen, ein gezäumtes Ross, 
Schild, Lanze und Schwert, alles Geschenke, welche die junge 
Frau erinnern sollten, dass sie des Mannes Genossin sei im 
Frieden und Krieg, in Lust und Gefahr. Die Reinheit der Ehe 
wurde streng bewahrt, dem seltenen Ehebruch folgte die Strafe 
allgemeiner Verachtung. Die untreue Frau ward nackt und 
bloss aus dem Hause gestossen und unter Schlägen aus dem 
Dorfe getrieben; niemand reichte ihr die Hand zu neuem Ehe- 
bündniss. Wie bei den meisten Naturvölkern, galt auch bei den 
Germanen die Pflicht der Blutrache, doch konnte selbst der Mord 
mit Geld gesühnt werden. Ihre Art des Begräbnisses war prunk¬ 
los, nur beim Tode der Vornehmen wurden mit der Leiche auch 
Streitrosse und Waffen verbrannt; das Grab bezeichnete ein ein¬ 
facher Rasenhügel. Feinere Künste waren ihnen fremd; doch 
hatten sie Lieder zur Verherrlichung der Götter oder berühmter 
Helden und kannten auch schon Schriftzeichen (Runenschrift). — 
So erscheinen die Germanen als ein einfaches Naturvolk, bereits 
über den Standpunkt des rohen Nomadenlebens erhaben und mit
	        
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