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stillstandes abgelaufen war! Angstvoll sah man der Mitternachtsstunde des
5. Januars entgegen; denn da war dieser Waffenstillstand zu Ende. Da
wohnte nun am Eingänge der Stadt, nach der Seite hin, wo der Feind
stand, eine alte, fromme Frau, Großmutter von einem zwanzigjährigen
Enkel, der nebst seiner schon ziemlich bejahrten Mutter mit der alten Frau in
einem Hause wohnte. Betete sie in guten Tagen, was sollte sie nicht in
bösen beten! Ja, ja, die Zeit der Noth ist just die Zeit, wo man nur ganz
dreist zu Gott kommen darf, wenn man auch sonst nicht zu ihm gekommen ist;
denn die Noth ist sein gewöhnliches Einladungsschreiben an harte Herzen, daß
sie weich werden sollen und ihn suchen. Die gute Frau betete nun in diesen
Tagen ganz einfältiglich mit Inbrunst den Vers eines alten Kirchenliedes:
„Eine Mauer um uns bau',
Daß dem Feinde davor grau'!"
§. 3. Das hörte der Enkel. „Ei, Großmutter," sagte er, „wie
mögt ihr doch um ein so unmögliches Ding bitten, daß der liebe Gott gerade
um euer Haus eine Mauer bauen soll, daß der Feind nicht dazu kommt?" —
„Das wilk ich damit auch nicht gesagt haben," versetzte sie, „sondern ich
hab's anders gemeint, nämlich der Herr wolle gnädiglich uns und unsere
Stadt vor dem Feinde beschützen und bewahren; das habe ich mit dem Gebete
sagen wollen. Aber was Lenkst du denn? Wenn's nun Gott eben auch ge¬
fiele, so eine Mauer um uns her zu bauen, meinst du, daß er das nicht
könnte?"
§. 4. Nun kam denn jene gefürchtete Stunde. Die feindlichen Vor¬
posten rückten von allen Seiten in Schleswig ein; die dänischen Truppen
hatten sich schon Tags vorher zurückgezogen, und immer mehr kleine Ab¬
theilungen kamen nach. Das Haus der alten Frau lag ziemlich hervorstechend
vor anderen Häusern an der Heerstraße; desto eher und desto häufiger hätte
sie also von den Soldaten besucht werden sollen; wohl sah sie, daß sie zu den
Häusern ihrer Nachbarn ritten und da Allerlei verlangten; aber zu ihr kam
keiner: Alles ritt vor ihr vorbei.
§. 5. Das ging nun so zu: Bisher hatte es fast gar nicht geschneit;
erst am 5. Januar war ein großes Schneegestöber, und an: Abende dieses
Tages kam Sturm dazu, und das Gestöber wurde so heftig, als man es
selten sieht. Vier Pulk Kosaken fanden den Weg um die Stadt, den sie ziehen
sollten, verschneit und warfen sich nun in die Stadt hinein, blieben aber alle
in dem Theile derselben, der ihnen am nächsten war, und der ziemlich weit
von dem größern entfernt liegt. Darum wurden dort die Häuser mit Sol¬
daten überladen, so daß wohl 60—70 Mann sich in mehrere der Wohnungen
ein quarrten, die um das Haus der alten, frommen Frau lagen. Schreck¬
lich ging's da zu; aber zu der alten Frau wollte keiner der wilden Fremdlinge
kommen, nicht einmal an ihr Fenster klopfte einer.
§. 6. Deß' wunderten sich denn Großmutter, Tochter und Enkel gar