32 Die Fehmgerichte. — Rudolf von Habsburg.
in feinen herrlichen Formen den deutschen Urwald nach, den alten heiligen Hain.
Gleich Laubgipfeln ragen die zarten Zinnen und Türmchen gen Himmel, und im
Innern verschlingen schlanke Säulen ihre Häupter in phantastischen Windungen zu
sühnen Bogengewölben wie ineinander ragende Baumzweige, während die durch die
schmalen, gemalten Fenster einfallenden Lichtstrahlen die Farbenstrahlen eines Blumen¬
teppichs versinnlichen. Die herrlichsten gotischen Kirchen aus jener Zeit find der
Dom zu Köln, 1248 angefangen; das Münster zu Straßburg, 1015 be¬
gonnen. Der Turmbau wurde durch Meister Erwin von Steinbach angefangen
und erst 1403 vollendet.
23. Die Femgerichte
waren entstanden, um die Härte des Faustrechts zu mildern. Sie find in West¬
falen aus den allen Gaugerichten hervorgegangen. Der Vorsitzende eines solchen
Gerichts hieß Freigraf, jeder Beisitzer Freischöppe, der £rt der Sitzung Frei¬
stuhl. Der Hauptort oder Hauptstuhl war zu Dortmund. Die Teilnehmer oder
Wissenden erkannten sich an geheimen Zeichen und Losungen. Tiefe Gerichte
verbreiteten sich über ganz Deutschland. Die Vorladung vor das Gericht geschah
durch einen Brief mit sieben Siegeln. Der Schuldige wurde verfemt, d. h. den
Wissenden preisgegeben, die ihn aufhingen oder erstachen. Die Sitzungen geschahen
des Nachts an einem geheimen Crte, wohin der Borgeladene mit verbundenen
Augen geführt wurde.
Zur Zeit des Faustrechts waren diese Gerichte von entschieden wohlthätigem
Erfolge; späterhin arteten sie indessen aus, da der Willkür der Richter zu großer
Spielraum eröffnet war. Erft durch Einführung besserer Rechtspflege im 16. Jahr¬
hunderte wurden sie beseitigt und ganz aufgehoben.
24. Rudolf von Habsburg, 1273 —1291.
1. Das Interregnum. Mit dem Tode Konrads IV. begann für Deutsch¬
land eine traurige Zeit. Sein Gegenkönig gelangte zu keinem Ansehn und starb
bald. Die deutsche Krone war so verachtet, daß sich kein deutscher Fürst um die¬
selbe bewarb. Da wählte man Ausländer! Richard von CornWallis und
Alfons von Ectstilien; der erste kam dreimal, der andere gar nicht nach Deutsch¬
land. Ihre Regierung heißt die kaiserlose Zeit (Interregnum), weil Deutschland
so gut wie keinen Kaiser hatte. Faustrecht, Unordnung und Gewaltthätigkeiten
nahmen in schreckenerregender Weise üöerhand. Raubritter lauerten dem friedlichen
Kaufmanne auf; Handel und Verkehr stockten. Kein Richter war mehr im Reiche,
bei dem der Schwache Schutz und Hilfe fand. Nur der Gewaltige hatte das Recht
in feiner stärkeren Faust. Gegen die Übergriffe des räuberischen Adels suchten sich
die größeren Städte durch Bündnisse einigermaßen zu schützen. Müde der vielen
Fehden, welche Deutschland zerrissen, traten die Fürsten endlich wieder zusammen,
um einen neuen Kaiser zu wählen. Lange konnte man sich nicht einigen; denn
keiner der Fürsten wollte seine in den vielen Kämpfen erworbenen Freiheiten auf¬
geben. Deshalb suchte man einen Mann zum König zu machen, dessen Macht zu
schwach war, um die verloren gegangenen königlichen Rechte wieder zu erobern.
Endlich siel die Wahl auf den Grasen Rudolf von Habs bürg.
2. Graf Rudolf von Havsburg. Am Ufer der Aar im Kanton Aargau
erheben sich auf einem freistehenden Hügel die Ruinen des alten Schlosses Habichts¬
burg oder Habsburg, von welchem Rudolf stammte. Derselbe befaß zwar bedeu¬
tende Güter in der Schweiz und im Elsaß, hatte jedoch bei weitem nicht die Macht
der großen deutschen Fürsten. Allgemein aber achtete man ihn wegen feiner
Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Einst ward ein Priester zu einem
Kranken gerufen, um demselben das heilige Abendmahl zu reichen; aber ein reißen¬
der Waldstrom sperrte dem Diener des Herrn den Weg. Graf Rudolf, welcher
gerade dazu kam, bot dem Priester fein Pferd an. Dieser durchschritt nun den