— 216 —
Oberfeldherr beinahe aufgenötigt worden war. Als er im Mai in
Wien anlangte, strömte ihm der Jubel der Volksmassen, wo er sich
zeigte, entgegen: nur ihm selbst war nicht wohl bei der großen Aufgabe,
die er übernehmen sollte. Er war ein gewissenhafter, verständiger und
gebildeter Manu, welcher über feine Verhältnisse und seine Kräfte nach¬
gedacht hatte, eiu Kriegsmann von unbedingter Kühnheit, zu jedem
Wagnis bereit, wohin ihn auch seine Vorgesetzten berufen mochten. War
die Aufgabe einmal gestellt, war ihm der Besehl gegeben, so trotzte er
mit eisernem Willen jeder Gefahr und pries dann bescheiden sein
Soldatenglück, das ihm wieder einmal treu geblieben sei. Aber zum
lettenben Feldherrn fehlte ihm eines, die Schnelligkeit des Entschlusses.
Die Kriegskunst, hatte der erste Napoleou gesagt, ist eine Sache des
Taktes. Eine Sache also der intuitiven Kraft, in jedem Augeublick die
Dinge und die Menschen zu sehen, wie sie sind, und danach mit plötz¬
lichem Entschlüsse zu handeln. Benedek war ein fester, aber ein lang¬
samer Geist. Sollte er nicht ausführen, was ein anderer besohlen,
sollte er selbst die höchste Entscheidung geben, so mußte er sich Schritt
auf Schritt zur klaren Anschauung durcharbeiten; er zweifelte, befahl,
verbesserte oder widerrief deu Befehl. Vou dieser Schranke seiner
Fähigkeit hatte er selbst ein klares Bewußtsein. Er kam eines Tags zu
Mensdorss und berichtete ihm, er sei soeben beim Kaiser gewesen, um
deu Herrn zu bitten, ihm das Oberkommando abzunehmen. An der
Spitze einer Division werde er leisten, was menschenmöglich sei, aber
eine große Armee in einem ihm unbekannten Lande zu führen, gehe über
feine Kräfte. Der Kaiser habe ihm widersprochen und endlich erklärt,
Benedek müsse es thun, Er (der Kaiser) habe keinen andern. Nichts
habe ihn tiefer getroffen., sagte der General dem Minister, als dieses
Wort des Kaisers, daß Österreich überall keinen besseren Feldherrn als
ihn besitze; gewiß werde er gehorchen, bitte aber den Minister, wenn
irgend möglich, den Kaiser zu einer anderen Ansicht zu bringen.
C. Staatsmänner.
1. Heinrich v. Gagern.
v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Bd. I.
München 1889. S. 171 ff.
Ein wahrer Typus für die in der Mehrheit herrschende Gesinnung
war ihr am 19. Mai erwählter Präsident, Heinrich v. Gagern. Eine
hohe, imposante Gestalt, ein kräftig modelliertes Gesicht, lebhafte Augen
unter mächtigen Brauen, eine klangvolle tiefe Stimme gaben seiner Er¬
scheinung den Ausdruck einer zur Herrschaft berufenen Natur. Selbstlos
und im Innersten bescheiden, war er durch Pflichtgefühl ans hohe Ziele
gerichtet und zugleich bereit nnd fähig, bei jeder Rede und jeder That