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platz. Das verwundete Tier setzt noch zweimal an und jedesmal
durchfährt im Augenblick, wo alle Montes schon gespießt sehen,
der Degen den Hals, bis das Tier mit der letzten Kraftäußerung
in die Höhe springt und niederstürzt um zu verröcheln.
Das Spiel ist nun beendet. Die toten Pferde und der
Stier wurden von vier sehr bunt ausstaffierten Rossen weg¬
geschleift und der Kampfplatz geräumt um der Erneuerung
desselben Schauspiels Platz zu machen.
Während sich die Spanier den von Mordlust auf die Stirn
getriebnen Schweiß abtrocknen, sammeln sie sich, mit gleicher
Lust der Wiederholung beizuwohnen. Von der edlen spanischen
Nation aus den längst verklungenen Zeiten des Mittelalters
ist kaum noch etwas übrig gebheben, was dieses Namens wert ist.
Heute sah ich nur ein in seiner Leidenschaft zum Tier gewordenes
Volk vor mir, das um so furchtbarer ist, als es mit Vernunft
begabt ist und diese der Botmäßigkeit seiner blutigen Wohust
unterwirft. Es ist nichts Seltenes, daß man Frauen in ihrem
rasenden Enthusiasmus zurückhalten muß, damit sie nicht die
Schranken überspringen und sich in ihrer Wut dem Stier ent¬
gegenwerfen, um zu kämpfen und zu morden. Unter dem ver¬
derblichen Einfluß der vieljährigen Kriege ist Spanien tief
gesunken und manches Jahrzehnt mag darüber vergehen, ehe
es sich wieder erhebt, die dichten Geflechte des Unkrauts der
Leidenschaft durchbrechend, welche Roheit, Raub und Mord¬
lust um das unglückliche Land gezogen haben.
Aus Henningsen, Deutsche Briefe.
92. Frau Fatime auf dem Basar.
Fatime Hanum spielte als Kind auf einer der engen Gassen
Stambuls. Als sie zur Jungfrau herangewachsen war, verlobten
ihre Eltern sie mit Emin Effendi, dem Sohn eines vornehmen
Paschas. Sie kannte ihn kaum; aber er war reich und galt als
eine gute Partie. Sein Haus liegt an einer der großen Straßen
in Skutari und besteht aus zwei streng voneinander getrennten
Teilen. In dem einen hat der Mann seine Gemächer, in dem
andern wohnen die Frauen. Denn Fatime ist nicht seine einzige