Full text: Geschichte der Hellenen in neuen und alten Darstellungen (1)

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Aus der Vorgeschichte der Hellenen. 
um ein Opfertier gilt es hier oder um eine Rindshaut, lote man sie wohl 
sonst Männern zum Preise setzt beim fröhlichen Wettkampf, sondern um die 
Seele des reisigen Hektor geht der Lauf. Zum vierten mal nähern sie sich 
den Quellen, wo sonst in friedlichen Tagen troische Frauen ihre Festgewande 
z" waschen pflegten: da nimmt der Vater der Götter und Menschen die Wage 
des Schicksals zuhanden, in die eine Schale legt er Achills, in die andere 
Hektors Los: Hektors Schale sinkt zur Erde, dem Hades zu. Er steht dem 
lveit gewaltigern Feind und wird erschlagen, seine Leiche wird von dem 
Unversöhnlichen beschimpft und geschändet, während der Körper des Patroklos 
unter feierlichen Spielen und Ehren bestattet wird. Doch hat das Lied auch 
für den überwundenen Helden das versöhnende Mitleid übrig. Der greise 
König von Pergamos, Priamos, von Hermes geleitet, geht selbst nächtlichem 
weile zum Sieger ins feindliche Lager, um den Leichnam seines edlen Sohnes 
von ihm zu erbitten, und deu Bitten des Greises gelingt es den zürnenden 
Helden weicher zu stimmen. Er übergiebt ihm Hektors Leichnam, den ein 
Gott vor Entstellung geschützt hat, damit er der letzten Ehre teilhaftig werde. 
Eine fast noch überlegenere Knnst — oder Natur, denn beides ist hier 
£&.eine§ bin noch tieferer, ruhigerer, feiner selbst gewisserer Geist waltet in 
'dem zweiten jener Gedichte, der Odyssee. Wenn die Ilias das Feldlager zu 
ihrem Schauplatze hat, und von der kriegerischen Bühne nur selten sich ein 
Blick ans häusliche und friedliche Bilder öffnet — wie dort anf dem Schilde 
des Achilleus, wo sie nur am Waffenschmuck eines Helden erscheinen —, so 
dreht sich dagegeu die ganze Odyssee um die Wiederkehr eines der ritterlichen 
Fürsten von Troja nach seiner Heimat, wo ihm, während er ferne ist, feind¬ 
selige Kräfte das Haus zerrütten. Das Gedicht versetzt uns auf eine der 
westlichen Inseln, nach Jthaka, aus das Stammesgnt des abwesenden Königs. 
Die Gattin, die des Entfernten, von dem sie keine Kunde hat, in Sehnsucht 
gedenkend, unverbrüchlich ihm die Trene bewahrt und mit festem Entschluß 
und guter List der Zudringlichen sich zu erwehren weiß, die um ihre Hand 
werben und die ganz gegen edle Sitte von dem Gute des Königs schwelgen, 
dessen Wiederkehr sie unmöglich glauben — der heranwachsende Sohn in 
ungleichem Kampf gegen die Freier seiner Mutter — das wohlgeordnete 
harmonische Leben des fürstlichen Besitztums, wo die Mägde der Frau, die 
Sklaveu dem Herrn ohne Murren gehorchen, und den gemeinsamen Wohl¬ 
stand treu und zufrieden fördern — daneben der wüste Tumult der ein¬ 
gedrungenen Freier im Bimde mit allen schlechten Elementen des herrenlosen 
Hauses — die Reise des Telemachos an die Höfe der dem Vater befreundeten 
Fürsten, um Kunde von dem Verschollenen zu erlangen: alle diese so ein¬ 
fach wahren menschlichen Verhältnisse treten in so deutlicher und klarer 
Zeichnung, als wären sie gestern oder heute geschehen, vor das Auge. Mit 
sicherer Hand hält der Dichter den Faden, an dem in gefälligen Windungen
	        
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