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Geschichte der Hellenen.
straße das rege Menschengewühl herwärts nach den Häfen, hinwärts nach
der Stadt und dem Markte und der weitragenden Akropolis, zufuß, zuwageu
und zuroß. Dort sah man zahlreiche Träger mit Saften; hier Karren mit
Pferden oder Eseln bespannt, fortführend allerhand Ware, Gemüse und Obst;
Zur Zeit der Hauptbauten lange Züge von Lastwagen und Lasttieren, beladen
mit Baumaterial aller Art. Da konnte man auch wohl Gelegenheit finden,
jenen weltberühmten alteu und ausgedienten Esel zu begaffen, der, trotz seiner
Pensionierung von staatswegen, es sich nicht nehmen ließ, als Freiwilliger
feine Genoffen tagtäglich zn begleiten.
Nach etwa anderthalbstündigem Marsche langte man, beim Areshügel
vorüber, auf dem Markte des Kerameikos an. Er war der Hauptmarkt der
Stadt und das erste Ziel der Neugier des Touristen; denn er war das
physiologische Zentrum von Athen, der Tummelplatz des öffentlichen Ver¬
kehrs, die Pulsader des athenischen Lebens, das Herz von Attika. Hier lagen
zunächst, auf der Westseite, die großen öffentlichen Gebäude: das Rathaus
und das Metroon mit dem Staatsarchiv, der Tempel des Apollon Patroos,
die Königs- und Zwölfgötterhalle; jenseits, auf der Ostfeite des Platzes,
breitete sich die Stoa Poikile aus. Auf dem Markte selbst fesselten das Auge
die langen Reihen von Geflechtbuden, die Läden der industriellen Verkäufer
und die Tische der Wechsler. Der Markt war die finanzielle und merkantile
und politische Börse. Hier balancierte der Kurs und die Agiotage der Münzen.
Das Hauptleben entwickelte sich am Vormittag. Dann war der Markt das
Stelldichein aller Klassen, der gewerblichen und handeltreibenden Gesellschaft,
der politischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Lebewelt. Dann entspann
sich ein Treiben, ähnlich dem Boulevardleben moderner Hauptstädte. Hier
konnte jede Grille und jeder Comfort der Modewelt, wie jeder Bedarf des
ernsten und des praktischen Lebens befriedigt werden. Hier luden ringsum
die herrlichen Spaziergänge zum Verweilen ein. Überall fand das fromme
Herzensbedürfnis Tempel und Altäre. Überall boten sich der Neugier oder
dem Wissensdrange die mannigfaltigsten Objekte, dem Auge des Kunstlieb¬
habers die Genüsse der bildenden Kunst, Statuen, Gemälde und architektonische
Zierden dar. Vor dem Sonnenstrahl konnten sich vereinsamte uud gemeinsame
Lnstwandler, scherzende und philosophierende, in schattige Alleen, Arkaden
und Hallen flüchten, oder sich da und dort gemächlich hinstrecken auf eine
Ruhebank.
Am weitesten südwärts vom Markte erhob sich der Hügel der Pnyx,
der welthistorische Schauplatz der athenischen Volksgemeinde mit seinem halb¬
kreisförmigen Bau, die Rednerbühne in den Fels gehauen. Daneben zeigte
sich die sogenannte Sternwarte Metons, d. H. das Heliotropion, das dieser
zur Erprobung seines neuen Kalenders mit staatlicher Genehmigung hier
errichtet hatte. Näher ant Markte, in südwestlicher Richtung, ragte der Hügel