Full text: Von 102 vor Chr. bis 1500 nach Chr. (Th. 1)

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hören dann die Vorlesung der Epistel und des Evangeliums. Zwischen 
beide Handlungen tritt das Graduale (ein Gesang), während der Diaeon 
den Ambon (Lectorium) besteigt. Mit dem Halleluja schließt sich der erste 
Akt (Missa catechumenorum) und es folgt nun die Meßhandlung im engern 
Sinne (Missa fidelium), die mit dem Glaubensbekenntniß der Kirche (Credo) 
beginnt. Wiederum ein Dominus vobiscum und ein Gebet, worauf das 
Offertorium (die Darbringung) und unter weiteren Ceremonien die Con- 
secration, die geheirünißvolle Wandlung sich vollzieht unter Adoration der 
Gemeinde und der Fürbitte für Lebende und Todte, und nun der rührende 
Gesang des Agnus Dei („o Lamm Gottes, unschuldig", so singt auch noch 
die evangelische Gemeinde heutzutage mit der alten Kirche) und dann die 
Communion selbst, der Gebet und Danksagung folgt mit dem Friedensgruß 
und dem Segen. Aber bei allem Großartigen und Erhebenden, das in der 
Feier liegt, wenn sie verstanden wird, fühlen wir uns doch von fremdartigen 
Elementen berührt, die sich dem Ursprünglichen beigemischt haben, und nur 
um so auffallender muß uns der Abstand erscheinen zwischen dieser mittel¬ 
alterlichen Feier und der apostolischen. Aus einem Liebes- und Gedächt¬ 
nißmahl der Jünger, die sich durch den Genuß des geweihten Brotes und 
des gesegneten Kelches mit ihrem unsichtbaren Haupte und sich unter ein¬ 
ander als Glieder verbanden, war nicht nur eine Opferhandlung geworden, 
wie die eben beschriebene, sondern (und darin lag noch etwas viel Bedenk¬ 
licheres) zugleich eine Opferhandlung, die der Priester möglicherweise auch 
dann vollziehen konnte, wenn die Gemeinde gar nicht anwesend war. 
Dieses Meßopfer sollte nicht nur den Lebenden, es sollte auch den Seelen 
der Abgeschiedenen zu gut kommen, die man sich an einem besondern Orte 
der Reinigung, in dem sog. Fegseuer dachte. Auch hier können wir nicht 
erwarten, daß Karl der Große und seine Theologen zu der reinen Erkennt¬ 
niß hindurd-gedrungen wären, wie etwa die Reformatoren des 16. Jahr¬ 
hunderts. Aber als eine gute Verordnung müssen wir es ansehen, wenn 
doch wenigstens von dem Mainzer Concil 813 darauf gedrungen wurde, 
daß die Messe in Gegenwart der Gemeinde und nicht als Winkelmesse ge¬ 
feiert werde; „denn wie soll," heißt es, „der Priester das Sursum corda 
(empor die Herzen!), das Dominus vobiscum (der Herr sei mit Euch!) 
sprechen, wenn Keiner da ist, an den die Worte können gerichtet werden?" 
Und Theodulph von Orleans erinnerte an das Wort des Herrn: wo zwei 
oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. 
Daß e§_ aber überhaupt nicht gethan sei mit äußern Ceremonien, daß die 
Verkündigung des göttlichen Wortes die Hauptsache bleibe, das sah Karl 
der Große mit seinem hellen, praktischen Geiste wohl ein. Darum sorgte 
er so treulich für die Predigt. Schon früher hatten Concilien zu wieder¬ 
holten Malen auf die von den Geistlichen vernachlässigte Predigt gedrungen, 
aber ohne rechten Erfolg. Auch hier war es Alaun, der seinen Zeitge¬ 
nossen zu der Einsicht zu verhelfen suchte, daß das Predigtamt vor allen 
Dingen den Bischof ziere und daß hinwiederum die Predigt müsse gegründet 
sein aus die heil. Schrift. _ In einem Brief an seinen königlichen Freund 
und Herrn dringt er darauf, daß nicht nur Bischöfe, sondern auch Priester 
und Diaconen sich des Predigtamtes befleißigen sollten. Und Karl der 
Große ging willig auf diesen Gedanken ein und traf die geeigneten Vor¬ 
kehrungen, die bei der Unwissenheit vieler Geistlichen nöthig waren. Es 
wäre in der That zu viel verlangt gewesen bei dem damaligen Stande der
	        
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