Full text: Von 102 vor Chr. bis 1500 nach Chr. (Th. 1)

schade. Höchst selten gab er Gastereien und nur bei besonderen festlichen 
Gelegenheiten, dann jedoch in zahlreicher Gesellschaft. Auf seine gewöhnliche 
Tafel ließ er nur vier Gerichte auftragen außer dem Braten, den ihm die 
Jäger am Bratspieß zu bringen pflegten und der ihm lieber war als jede 
andere Speise. Während der Tafel hörte er gerne Musik oder einen Vor¬ 
leser. Er ließ sich die Geschichten und Thaten der Alten vorlesen; auch an 
den Büchern des heiligen Augustinus hatte er Freude, besonders an denen, 
die „vom Staate Gottes" betitelt sind. Im Genuß des Weins und jeg¬ 
lichen Getränks war er so mäßig, daß er über Tisch selten mehr als drei¬ 
mal trank. Im Sommer nahm er nach dem Mittagessen etwas Obst zu 
sich und trank einmal, dann legte er Kleider und Schuhe ab, wie er es 
bei Nacht that, und ruhte zwei bis drei Stunden. Nachts unterbrach er 
den Schlaf vier- oder fünfmal, indem er nicht bloß aufwachte, sondern auch 
aufstand. Während er sich ankleidete, ließ er nicht allein seine Freunde 
vor, sondern wenn der Pfalzgraf von einem Rechtsstreite sprach, der nicht 
ohne seinen Ausspruch entschieden werden könne, so hieß er die streitenden 
Parteien sofort hereinführen und sprach nach Untersuchung des Falls das 
Urtheil, als säße er aus dem Richterstuhl; und das war nicht das einzige, 
sondern was es für biefen Tag von Geschäften zu thun und seinen Be¬ 
amten aufzutragen gab, das besorgte er zu dieser Stunde. 
Reich und sicher floß ihm die Rede vom Munde, und was er wollte, 
konnte er leicht und klar ausdrücken. Es genügte ihm jedoch nicht an seiner 
Muttersprache, sondern er verwendete auch auf die Erlernung fremder großen 
Fleiß: im lateinischen brachte er es so weit, daß er es wie deutsch sprach, 
das griechische aber konnte er besser verstehen, als selber sprechen. Dabei 
war er so beredt, daß er fast als der Lehrer erscheinen konnte. Die edlen 
Wissenschaften pflegte er mit großer Liebe, die Meister in denfelben schätzte 
er ungemein unb erwies ihnen hohe Ehren. In der Grammatik nahm er 
Unterricht bei bem Diakonus Petrus von Pisa, einem hochbejahrten Mann, 
in den übrigen Wissenschaften ließ er sich von dem Diakonus Albinus, mit 
dem Beinamen Alcuin, unterweisen, einem in allen Fächern gelehrten Mann, 
der von sächsischem Geschlechte war und aus Britannien stammte. In dessen 
Gesellschaft wandte er viel Zeit unb Mühe auf, um steh in der Rhetorik, 
Dialektik, vorzüglich aber in der Astronomie zu unterrichten. Er erlernte 
die Kunst zu rechnen und erforschte mit emsigem Fleiß und großer Wi߬ 
begierde den Laus der Gestirne. Auch zu schreiben versuchte er und pflegte 
deßwegen Tafel und Papier im Bett unter dem Kopfkissen mit sich herum¬ 
zuführen, um in müßigen Stunden seine Hand an die Gestaltung von Buch¬ 
staben zu gewöhnen. Jnbeß brachte er es hierin mit seinen Bemühungen 
nicht weit, ba er es zu spät angefangen hatte. 
Der christlichen Religion, zu der er von Jugend auf angeleitet worben, 
war er mit Ehrfurcht unb frommer Liebe zugethan. Darum erbaute er 
auch bas herrliche Gotteshaus zu Aachen unb schmückte es mit Golb unb 
Silber, unb mit Kerzen und mit ehernen Gittern unb Thüren. Da er die 
Säulen und den Marmor für die Kirche anderswoher nicht bekommen 
konnte, ließ er sie aus Rom und Ravenna herbeischaffen. Morgens und 
Abends, auch bei den nächtlichen Horen unb zur Zeit der Messe besuchte 
er fleißig bie Kirche, wenn es ihm fein Befinben erlaubte; unb er ließ es 
sich sehr angelegen fein, baß alle gottesbienstlichen Verrichtungen mit mög- 
lichst großer Würbe begangen würben, unb gar häufig ermahnte er die
	        
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