Full text: Von 102 vor Chr. bis 1500 nach Chr. (Th. 1)

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aus der Welt gegangen. Ehrgeiz und Herrschsucht waren die Haupttrieb¬ 
federn seiner Handlungen, seiner Worte, seiner Gedanken, die Welt be¬ 
herrschen durch das Wort, das Ziel seines Lebens; diesen Leidenschaften 
opferte er wie ein ruheloser Eroberer das Glück von Millionen, den Frieden 
der Völker. „Des Papstes Fuß", schrieb er einst an den König von Däne¬ 
mark, „sollen alle Fürsten küssen, nur er soll kaiserliche Insignien tragen, 
durch das Verdienst des heil. Petrus ist er ein Heiliger des Herrn."*) 
Keinrichs IV. Ausgang. 
Aber noch waren Heinrichs Leiden nicht zu Ende. In Deutschland, 
wo mittlerweile die mächtigen Gegner des Kaisers, Otto von Nordheim, 
Eckbert, Markgraf von Meißen, Herzog Wels von Bayern, einen Gegen¬ 
könig in dem Grafen Hermann von Salm aufgestellt, der sich als williges 
Werkzeug von ihnen brauchen ließ, wüthete inzwischen der furchtbarste 
Bürgerkrieg. Die Feinde des Kaisers trugen mit ihren verwilderten 
*) Giesebrecht III., 580 ff. urtheilt so über ihn: 
Die unbefangene Geschichtsforschung, die weder auf Kanonifationen noch auf 
Verketzerungen zu achten hat, hat sich inzwischen mit Erfolg bemüht Gregors wahre 
Gestalt, welche die Parteien zu entstellen nicht müde wurden, der Nachwelt zu er¬ 
halten. Sie erkennt das innerste Wesen des Mannes aus seinen eigenen Aufzeich¬ 
nungen, die in großer Zahl erhalten sind, und um so sicherer, als er über seine 
Absichten in den meisten Fällen keinen Schleier zu werfen pflegte. Unzweifelhaft 
ist nach diesen Aufzeichnungen, daß er als Nachfolger Petri eine unbeschränkte 
Gewalt nicht nur in kirchlichen, sondern auch in weltlichen Dingen in Anspruch 
nahm, daß er das Priesteramt vor Allem als ein Richteramt, sein höchstes Priester¬ 
thum als das höchste Richteramt auf Erden ansah, welches ihm, um Gottes Ord¬ 
nung überall hiemeden zur Anerkennung und zur Geltung zu bringen, durch höhere 
Fügung verliehen sei. Jeder Widerstrebende war ihm deshalb an sich ein Gott¬ 
loser, der mit Strafen jeder Art der göttlichen Gerechtigkeit unterworfen werden 
müßte. Die Strafe, zu welcher er zunächst sich kraft feines Richteramts berechtigt 
hielt, war das Anathem. Sein ganzes Regiment ist eine lange Reihe von An- 
athemen; nie ist vor ihm den Bannsprüchen Roms eine ähnliche Ausdehnung und 
Bedeutung gegeben worden. Fast die ganze Bevölkerung Italiens und Deutschlands 
setzte er der Gefahr aus, von der Äirchengemeinfchaft ausgeschlossen zu werden, und 
damit drohten sich, da die Excommunication damals auch tief in die weltlichen 
Verhältnisse eingriff, zugleich alle bisherigen Ordnungen des staatlichen Lebens zu 
lösen. Wo aber das Anathem nicht den Gehorsam erzwang, glaubte Gregor als 
Richter auch zum Schwert und zu anderen Mitteln der Gewalt greifen zu dürfen. 
Er hat den Volks aufstand in der Lombardei geschürt, in Deutschland den inneren 
Krieg genährt, seine Legaten haben die zum Kampfe ausziehenden Heere begleitet, 
und er selbst hat gerüstet, um mit bewaffneter Macht Wibert aus Ravenna zu ver¬ 
jagen. Diesen hohenpriesterlichen Richter wird man den Aposteln Petrus und 
Paulus nicht an die Seite stellen wollen; eher vergleicht er sich den Richtern des 
alten Bundes, obschon auch unter ihnen kaum Einer mit gleichem Eifer sich zum 
Diener der göttlichen Rache dargeboten hat. 
Schwer wird man sich überzeugen, daß ein Priester, der sein Amt in dieser 
Weise auffaßte und nach solchen Zielen mit solchen Mitteln strebte, nicht den In¬ 
stinkt der Herrschaft in sich getragen, nicht ein tiefes Bedürfniß zu gebieten gehegt 
habe. Nichts aber berechtigt anzunehmen, daß Gregor durch Gewalt und Frevel 
zum Pontificat gelangt fei und zur Befriedigung niederer Leidenschaften seine Macht 
benutzt habe. Er lebte dem Ideal, welches feinem Geiste vorschwebte; seine Freuden 
waren die Siege der römischen Kirche, ihre Niederlagen seine Schmerzen. Für sich
	        
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