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Erstes Buch. Fünfter Abschnitt.
herbeigesührt wurde, in welchem das lange in grober Täuschung befangen
gehaltene Volk sich den Schleier von den Augen zog. So waren die kirch¬
lichen Verhältnisse in Deutschland, als Martin Luther in Wittenberg zuerst
gegen den schnöden Handel mit Ablaßbriefen eiferte, welchen der Kurfürst
von Mainz durch den Dominicaner Tetzel in Sachsen betreiben ließ. Die
Worte des Augustinermönchs, welcher mit glühendem Eifer die Verderbt¬
heit der Kirchendiener schalt, und auf die Nothwendigkeit einer durchgrei¬
fenden Verbesserung der Kirchenzucht hinwies, fanden den allgemeinsten
Beifall; man lernte bald einfehen, wie verschieden von den Satzungen der
Papste die Gebote und Verheißungen der heiligen Schrift lauteten.
Herzog Ernst von Lüneburg hatte aus reinster Ueberzeugung sich der
Lehre Luthers ergeben, und schon 1523 versuchte er, der Reformation in
seinem Fürstenthume, namentlich in der Residenz Celle, Eingang zu ver¬
schaffen. Obwohl nun Ernst in diesen Bemühungen weit entfernt war,
durch andere Mittel, als die der Ueberzeugung, auf seine Unterthanen zu
wirken, fand er doch namentlich bei der Klostergeistlichkeit in Celle einen
erbitterten Widerstand; sie war es, die auch Heinrich den Mittlern bewog,
sich noch ein Mal in sein Land zurückzubegeben, um die Bestrebungen des
Sohnes zu vereiteln. Trotz dessen wurde von dem auf dem Landtage zu
Scharnebeck versammelten Standen am Gründonnerstage 1527 der Be¬
schluß gefaßt, der Reformation Eingang zu verschaffen. Seitdem wurde
ein Kloster nach dem andern von den bisherigen Bewohnern geräumt; er¬
fahrene Männer wurden der Verwaltung der klösterlichen Güter vorgefetzt;
der Widerstand, welcher diesen Neuerungen von Seiten einiger Orden ge¬
boten wurde, konnte den Gang der großen Umwandlung nicht hemmen.
Endlich mußte auch der Rath von Lüneburg dem Verlangen seiner evan¬
gelisch gesinnten Bürgerschaft sich fügen, und Kirche auf Kirche zur Ver¬
kündigung der lutherischen Lehre einraumen.
Auf dem 1530 gehaltenen Reichstage zu Augsburg, woselbst die
evangelischen Stande ihr Glaubensbekenntniß öffentlich ablegten, erschien
auch Herzog Ernst, welcher noch in dem nämlichen Jahre sich in Schmal¬
kalden mit einigen gleichgesinnten Fürsten zur männlichen Vertheidigung
der von ihnen ergriffenen Wahrheit und zum Schirm ihrer landesherrli¬
chen Rechte gegen die drohende Gewalt des Kaisers verband. In Augs¬
burg hatte der Herzog den Prediger Urbanus Regius kennen und lieben
gelernt, und denselben vermocht, ihm nach seinen Landen zu folgen. Hier
begann der fromme Mann, welcher zum Hofprediger in Celle und zum
Generalsuperintendenten des Fürstenthums Lüneburg ernannt war, in Ver¬
bindung mit seinem fürstlichen Freunde das planmäßig betriebene Werk der