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Die Königin Luise.
Der König saß da, in tiefstem Schmerze versunken. Er
war verlassen von seine geliebten Luise! Ihre Augen waren ge¬
brochen, ihre Seele der Erde entnommen.
Bald stand er aus. Er drückte der Toten die regungslosen
Augen zu. Dann führte er seine Söhne an das Bette der
Mutter. Mit Schluchzen stürzten sie auf ihre Kniee und be¬
netzten die Hände der Entschlafenen mit Thränen. Alles war
still, vorn Schmerze überwältigt. Sie aber lag ruhig da, ver¬
klärt und versöhnt. Mit ihrem lächelnden Antlitze sprach sie
noch: „Ich habe ausgelitten! es ist vollbracht!" Sie war in
ihrem Vaterhause. Und ihre Sehnsucht war gestillt.
(Tod der Königin nach Fix.)
II. Einzelne Züge aus dem Leben der Königin.
1.
König Friedrich Wilhelm III. stand einst mit seiner Ge¬
mahlin im Schlosse am Marmorsee vor einem Fenster. Die
Königin hatte den Kronprinzen im Arme und ließ ihn mit einigen
Goldstücken spielen. Indessen näherte sich ein sechzigjähriger, dürftig
aber reinlich gekleideter Mann dem Fenster, verbeugte sich, und,
ohne das königliche Paar zu kennen, sagte er zum Könige: „Ge¬
währen Sie, mein Herr, einem alten, von undankbaren Töchtern
verstoßenen Manne ein Almosen! Mein einziger Sohn ist Soldat
und steht an der Grenze." Der König öffnete beide Flügel des
Fensters und antwortete, ohne sich weiter auf Fragen und Er¬
kundigungen einzulassen, huldreich dem Bittenden: „Wende Er
sich an dieses Frauenzimmer, mein Freund! Er sieht, sie läßt
Kinder mit Goldstücken spielen und wird für einen armen, von
Kindern verstoßenen Vater etwas übrig haben. Ich habe meine
Börse nicht bei der Hand!" Die Königin gab dem Kronprinzen
vier Friedrichsdor in die Hand und sagte zu ihm: „Gieb sie
dort dem Manne!" Der Prinz warf sie erfreut in den Hut des