Full text: Lebensbilder und Charakterzüge der Hohenzollerschen Fürsten seit dem dreissigjährigen Kriege

162 
Wilhelm I. 
die so sehr darnach verlangten, hätte sie diese Gnade gewünscht. 
— „Ja, dann muß ich noch einmal hinauf kommen," antwortete 
der König, stieg die hohen Treppen wieder hinauf, unterhielt sich 
auch oben mit den einzelnen, nahm sich mit der Gabel aus dem 
Näpfchen des einen einen Bissen Fleisch, von dem andern ein 
Stückchen Brot, lobte, wie gut sie verpflegt würden und schied 
dann mit herzlichen Abschiedsworten von seinen wunden Kriegern. 
* "X* 
* 
Einmal trat der König mit dem Kronprinzen und mehreren 
Generalen in das Lazarett zu Versailles. Wie gewöhnlich ging 
er von Bett zu Bett und fragte die einzelnen in seiner leutseligen 
Weise nach ihren Verwundungen. Da trat er auch an das Bett 
eines alten Schlesiers, der durch Amputation sein rechtes Bein 
verloren und außerdem einen Schuß in der rechten Schulter hatte. 
Als der König den wackern Soldaten fragte, wo er ver¬ 
wundet sei, antwortete dieser: „Hier, Majestät! Ich höbe das 
rechte Bein verlor'n und das ärgert mich; denn nu könn ich nich 
mit noch Paris morschir'n und zur Zugobe ho'n mich die Karle 
noch hier ei die Schulter geschuss'n." 
Alle lachten. Darauf erwiderte der König: „Nun, mein 
Sohn, dann sollst Du ein künstliches Bein bekommen und doch 
mit uns in Paris einrücken." 
Treuherzig meinte der Schlesier: „Ja, das globe ich, aber 
ich könn mir doch nich mehr 's eiserne Kreuz verdienen!" 
Wieder lachten die Umstehenden. Doch der Kronprinz legte 
seine Hand auf des Braven Haupt und sagte: „Mein Sohn, 
auch das sollst Du haben!" und stille nickte der König sein „Ja" 
dazu und ging mit feuchten Augen weiter. 
* 
Ein andermal erschien der Kaiser Wilhelm im Lazarett zu 
Versailles. Dort lag ein blutjunger Infanterist blaß und bleich 
auf seinem Schmerzenslager. Er schlief. Der Arzt hatte ihm 
ein Schlafpulver gegeben, damit er auf einige Zeit seine Schmerzen 
vergessen möchte. Vor diesem schlafenden Krieger stand Kaiser
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.