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Wilhelm I.
die so sehr darnach verlangten, hätte sie diese Gnade gewünscht.
— „Ja, dann muß ich noch einmal hinauf kommen," antwortete
der König, stieg die hohen Treppen wieder hinauf, unterhielt sich
auch oben mit den einzelnen, nahm sich mit der Gabel aus dem
Näpfchen des einen einen Bissen Fleisch, von dem andern ein
Stückchen Brot, lobte, wie gut sie verpflegt würden und schied
dann mit herzlichen Abschiedsworten von seinen wunden Kriegern.
* "X*
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Einmal trat der König mit dem Kronprinzen und mehreren
Generalen in das Lazarett zu Versailles. Wie gewöhnlich ging
er von Bett zu Bett und fragte die einzelnen in seiner leutseligen
Weise nach ihren Verwundungen. Da trat er auch an das Bett
eines alten Schlesiers, der durch Amputation sein rechtes Bein
verloren und außerdem einen Schuß in der rechten Schulter hatte.
Als der König den wackern Soldaten fragte, wo er ver¬
wundet sei, antwortete dieser: „Hier, Majestät! Ich höbe das
rechte Bein verlor'n und das ärgert mich; denn nu könn ich nich
mit noch Paris morschir'n und zur Zugobe ho'n mich die Karle
noch hier ei die Schulter geschuss'n."
Alle lachten. Darauf erwiderte der König: „Nun, mein
Sohn, dann sollst Du ein künstliches Bein bekommen und doch
mit uns in Paris einrücken."
Treuherzig meinte der Schlesier: „Ja, das globe ich, aber
ich könn mir doch nich mehr 's eiserne Kreuz verdienen!"
Wieder lachten die Umstehenden. Doch der Kronprinz legte
seine Hand auf des Braven Haupt und sagte: „Mein Sohn,
auch das sollst Du haben!" und stille nickte der König sein „Ja"
dazu und ging mit feuchten Augen weiter.
*
Ein andermal erschien der Kaiser Wilhelm im Lazarett zu
Versailles. Dort lag ein blutjunger Infanterist blaß und bleich
auf seinem Schmerzenslager. Er schlief. Der Arzt hatte ihm
ein Schlafpulver gegeben, damit er auf einige Zeit seine Schmerzen
vergessen möchte. Vor diesem schlafenden Krieger stand Kaiser