fullscreen: Deutsches Lese- und Sprachbuch für die Oberstufen der Volks- und Bürgerschulen (Abt. 3)

122 
Eisfelder. In Uri, wo er sehr häufig und anhaltend weht, verdanken 
es ihm die Einwohner, daß die Gletscher so wenig tief in die Berg¬ 
thäler hernnterreichen und die Alpen früher befahren werden können, 
als in den meisten gleich hohen Geländen. Dabei ist der Fön zum 
großen Glücke der Menschen und Felder ein sehr vorsichtiger Schnee¬ 
schmelzer und schützt dadurch, daß er durch seine Wärme eine massen¬ 
hafte Verdunstung der Wassertheile unterhält, die Niederungen vor ge¬ 
fährlichen Ueberfluthungen der Bcrgwasscr. Dagegen trocknet er die 
Blüthe des Apfelbaumes rasch aus und vertilgt die Hoffnung auf eine 
Ernte. Auch die Buche und das Haidekorn gedeihet an Abhängen nicht, 
wo der Fön häufig anstreicht. §v. ». Tschadi. 
74. Oer Genisenjäger, 
Der allergefährlichste Feind der Gemse ist der Mansch, der mit 
wahrer Tollkühnheit sie verfolgt, und keine Gefahr scheut, sie zu er¬ 
legen. Nichts in der Welt kann den Jäger von seiner Leidenschaft ab¬ 
halten, die ihm um so reizender wird, mit je mehr Gefahren er zu 
kämpfen hat. Steht ihm seihst das schreckende Beispiel vor Augen, 
dass Vater und Grossvater in Abgründe gestürzt und spurlos ver¬ 
schwunden sind, und weiss er selbst, dass ein ähnliches Schicksal 
ihm aufgehoben ist, so vermag er doch nicht, ein ruhiges Leben 
dem Tage, ja Wochen langen Umherstreifen vorzuziehen. Der be¬ 
rühmte Gemsenjäger Heitz aus Glarus, ein Zimmermann, erlegte 
aus blosser Jagdlust an neunhundert Gemsen, büsste dieselbe aber 
endlich mit dem Leben, indem er in einen Abgrund stürzte. — 
Der Gemsenjäger muss einen schwindelfreien Kopf, scharfe Augen, 
gute Brust und sichere Füsse haben. Er muss mit Sicherheit über 
die steilsten Klippen, neben den gähnenden, schrecklichsten Ab¬ 
gründen hin, und über Ueberhänge gehen können und dabei vom 
Schwindel nichts wissen. Er muss gewohnt sein, über Eisfelder 
und Gletscher zu gehen, über Eisklüfte zu springen, Sturm, Unge¬ 
witter, Kälte und Hunger Trotz zu bieten; dabei eine gute Brust 
haben, um die reinste Lust einathmen, und Berg auf, Berg ab ohne 
Beklemmung steigen zu können. Allein alles dies hilft nichts, wenn 
er kein scharfes Auge hat, und nicht mit der Büchse gut umzu¬ 
gehen weiss. Seine Rüstung besteht in einem leichten Kleide, 
stark benagelten Schüben, woran er die Fusseisen schnallen kann, 
einem Alpenstock, einer tüchtigen Büchse, und einem Fernrohr. 
In der Jagdtasche hat er Brod und Käse, auch wohl ein Fläschlein 
mit Wein oder Branntwein. Kaum dass die Sonne die Gletscher 
rölhet, durchspäht er schon mit dem scharfen Auge oder Fernrohr 
die höheren Gebirgsregionen, und wandert gegen den Wind, welchen 
er erforscht, indem er ein Haar im Winde spielen lässt. Hat er 
endlich eine oder mehrere Gemsen erspäht, so stellt er sich an 
einen Felsen, und wartet mit vieler Geduld, bis die Gemse sich von 
dem Weideplätze zurückzieht, um sie sicherer auf’s Korn zu nehmen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.