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Drohte bem Laube ein Feinb, jo mürben bie freien, wehrbaren Männer aller
Gaue zu ben Waffen gerufen. Sie bisbeten ben Heerbann ober bie Lanbmehr.
Von Hos zu Hof erscholl ber Aufruf, unb alles eilte gerüstet herbei. Vor bem
Angriffe ertönten Hörner von Auerochsen, bie Schilbe mürben schrecklich bröh-
nenb übereinanber geschlagen, unb mit einem fürchterlichen Geschrei beqann
ber Kampf.
c) Religion.
Der Deutsche liebte bie freie Natur über alles. Ja bie Naturkräfte
waren ihm nach unb nach zu Personen, zu Göttern geworben, bie fein Schicksal
leiteten unb benen er in heiligen Hainen ober auf luftigen Höhen Opfer bar¬
brachte. Wie in ber Natur ber Frühling mit bem Winter, bas Morgenrot mit
ber Nacht um bie Herrschaft ringt, so bachte man sich auch bie Götter in stetem
Kampfe: im Kampfe mit ben Frostriefen, im Kampfe auch untereinanber.
Der höchste Gott war Woban, ber Himmelsgott. Ihn stellte man sich ein-
äugig bor, wie ber Himmel ja auch nur ein Auge, bie Sonne, hat. Auf acht*
beinigem Roß, befleibet mit bem grauen, rotgeränberten Wolfenhut unb bem
blauen Sturmmantel, fährt er burch bie Luft. Zwei Raben, seine Boten, unb
zwei hungrige Wölfe, feine Jagbhunbe, begleiten ihn; hinter ihm her saust bas
milbe Heer. (Sage vom wilben Jäger.) Er thront in ber hunberttorigen
Himmelsburg Walhalla, bie mit golbenen Schiiben unb Speerfchäften getäfelt
ist-' Hier ist auch ber fröhliche Aufenthaltsort ber im Kampfe gefallenen Helben.
Sie werden von den Schlachtenjungfrauen (Walküren) auf schwarzem Rosse zur Wal¬
halla geführt. Hier empfängt sie Wodan. Ein Sänger begrüßt sie, und die Göttin Iduna
reicht ihnen einen Apfel, der sie ewig jung hält.
Jeden Tag reitet Wodan mit den Helden zum Kampfe vor das Tor. Am Abend
bläst er in sein Horn. Dann heilen im Nu alle Wunden, und fröhlich ziehen sie alle heim
zum Festmahle. Da gibt es köstlichen Schweinebraten, und eine Ziege liefert so viel
Milch, als sie nur trinken wollen.
Die ben (Strohtob Gestorbenen erwarten bei Hel im falten Niflheim bas
Weltenbe. Woban lenst aber auch bie Geschicke ber Menschen. Ebenso ist er
es, ber bas Korn auf bem Felbe wachsen läßt unb im Kampfe ben Sieg ver¬
leiht. Um feine Gunst zu erlangen, opfert man ihm Rosse.
Sein Sohn ist ber Donnergott Thor ober Donar. Er bläst aus seinem
roten Barte bie Blitze, unb wenn er auf feinem Wagen, von zwei Ziegenböcken
gezogen, burch bie Wolfen fährt, so bonnert es auf ber Erbe. Er kann aber
auch bem Bauer freunblich fein, in bürren Sommerzeiten ben Regen bringen
unb Menschen unb Tiere von Krankheiten heilen. Die Eiche ist ihm geheiligt.
Der Donnerstag trägt von ihm feinen Namen.
Wobans Gemahlin heißt Freia. Wenn sie im Frühling auf ihrem Wagen
durchs Laub fährt, schmückt sie bie Erbe mit Grün unb Blumen. Sie segnet
Haus unb Herb; bar um mürben am Freitag bie Ehen geschlossen.
Die ganze Natur wirb von Geistern belebt. In Walb unb Flur führen
bie Alben ober Elsen ihren Reigen auf. Am riefelnben unb plätschernben Wasser
wohnen bie Wasserjungfrauen (Nixen). Die unterirbischen Schätze werben
von Zwergen bewacht. Auf ben Bergen aber Haufen bie Frostriefen, bie
stets mit Göttern unb Menschen im Kampfe liegen. Aus bem Riesengeschlechte
stammt auch ber böse Loki, ber oft als Feuer erscheint. Durch Arglist tötet er