c. Neuzeit.
62. Die deutsche Bildung am Vorabende der Neuzeit.
Jo H. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittel¬
alters, 1. Bd., Freiburg i. B„ 1878.
Seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bietet die Geschichte
des deutschen Volkes nach mehr als fünfzigjähriger Zersetzung der religiös-
sittlichen und staatlichen Zustände und nach langer, öder Untätigkeit und
Barbarei auf dem Gebiete des Unterrichts und der Wisfenfchaft das erfreu¬
liche Bild neuer, gesunder Entwicklung.
Diese Entwicklung steht in wesentlichem Zusammenhange mit der
welthistorischen Wirksamkeit des deutschen Kardinals Nikolaus von Cu es.
jspr. Kuhsji). kirchlicher Reformator, als Neubegründer der theo¬
logisch-philosophischen, der klassischen und der mathematisch-physikalischen
Studien, nicht minder als Politiker und Staatsmann erscheint der Kar¬
dinal „wie eine geistige Riesengestalt" an der Wende des Mittelalters. —
In die Zeit der epochemachenden Wirksamkeit des Nikolaus von
Cues fällt eins der wichtigsten Ereignisse für die Bildungsgeschichte des
deutschen Volkes wie der Menschheit überhaupt: die Erfindung des Bücher-
druckes. Diese Erfindung bot das bequemste Mittel dar, jedes Geistes¬
erzeugnis zu erhalten und fortzupflanzen, weckte und belebte die Ideen
durch deren erleichterten Austausch, hob den literarischen Verkehr und
machte die Wissenschaften und Künste zum Gemeingut der Gesellschaft.
Während früher alles Wissen, auch das weltliche, Tonsur und Kutte ge¬
tragen. erwachte jetzt auch unter den Laien Lust und Liebe für alle edlen
geistigen Bestrebungen, und die niederen Stände des Volkes wurden durch
die geläuterte Bildung den höheren näher gebracht.
Ein tiefgehender Bildungsdrang, vorzugsweise beruhend auf der
Tüchtigkeit unb dem Wohlstände des Bürgertums, bemächtigte sich in
jugendlich kräftiger Regsamkeit aller Klassen bes Volkes. In Stabt unb
Lanb würben wieber Schulen gestiftet oder bie vorhanbeuen gebessert, und
man suchte überhaupt für die Volkserziehung eine feste Grundlage in der
Schule zu gewinnen; die Gründung unzähliger Gymnasien und vieler
J) Nikolaus von Cues (Cusanus), eigentlich Chrypffs (Krebs) geheißen,
geboren 1401 als Sohn eines Fischers zu Cues bei Bernkastel an der^Mosel,
gestorben als Bischof von Brixen und Kardinal 1464 in Todi bei Spoleto.
Nikolaus, eilt Freund des Papstes Pius II., ist der gewaltigste und universalste
Träger des kirchlichen Gedankens des 15. Jahrhuuderts (begründete u. a. schon
philosophisch die Bewegung der Erde um die Sonne). Seine Werke erschienen
zuerst 1514 in Paris.