herrschend. Der Adel war infolge des übermäßigen Aufwandes bei
häuslichen und öffentlichen Festen verarmt, daß er zur Wegelagerung
griff, um nur das Leben zu fristen. Ein wildes Räuberleben, un¬
geheuerliche Saufgelage mit unflätigem Gespräch lösten die heiligsten
Bande der Familie.
Wie das Leben und Treiben des Adels auf das Familienleben
des Bürgerstandes gewirkt hat, erzählt der Prediger Berthold von
Regensburg in nicht gerade schmeichelhafter Weise: „An der Eitelkeit
und Putzsucht der Zeit hat das Weib seinen vollen Anteil. Die
Hälfte des Jahres wendet sie an ihr Haar. Wenn sie nicht viererlei
oder sechserlei Kleidung zur Verfügung hat, so hat ihr Mann keine
ruhige Stunde. In Pfauenhüten, mit gestickten Kleidern und langen
Schleppen schwänzeln die Mädchen und Frauen durch die Gassen, an
Gewand und Kopfputz zupfend, daß man sie recht begaffe. Die mütter¬
liche Pflicht wird nicht immer so geübt, wie es das Wohl der Kinder
erheischt. Auch beim weiblichen Geschlecht ist eine Nimmersatte Ver¬
gnügungswut eingerissen, durch die die Sittsamkeit und Tugendhaftigkeit
von Frauen und Mädchen schwer leidet. Selbst von der Trunksucht und
Spielsucht der Männer sind die Frauen angesteckt. Der Mann ver¬
trinkt sein Schwert, die Frau ihren Kopfputz. Zwar kirchlicher sind
die Weiber als die Männer. Man sieht sie häufiger im Gottesdienst;
aber sie lassen hier wie im „Heimgarten" (in Gesellschaft) ihren Mund
nicht stille stehen mit unnützem Geschwätz. Die eine erzählt von der
Faulheit und Verschlagenheit ihrer Magd, die andere klagt, daß ihr
Kind so viel Arbeit koste, oder daß es nicht recht zunehme."
5. Die Blütezeit des Bürgertums.
Während das Rittertum im ausgehenden Mittelalter allmäh¬
lich zur Bedeutungslosigkeit herabsank, wuchs und erstarkte das
Bürgertum der Städte immer mehr. Die Blüte des Handwerks und
des Handels führte einen hohen Wohlstand des städtischen Bürgertums
herbei. Der wirtschaftliche Aufschwung gab aber wieder Anlaß zu
frohem Lebensgenuß. Man wollte nicht nur erwerben, sondern auch
genießen, sich ausleben im Guten wie im Schlechten. Gewaltig war oft
die Leidenschaft, ungezügelt die sinnliche Genußsucht, entsetzlich oft der
Unflat. Aber das waren Zeichen nicht eines verkommenen Geschlechts,
sondern eines jugendlich-kräftigen Volkes.
Auch das Frauenleben des endenden Mittelalters stand unter dem
Zeichen der unbefangenen, derben Lebenslust. Diese äußerte sich vor
allem in der Entfaltung eines großen Kleiderlums und in dem Ver¬
langen nach Vergnügungen aller Art. Um dem übertriebenen Aufwand
in kostbaren Stoffen zu steuern, mußten städtische Lumsgesetze und
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