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5. Dann blitzt sein Blick zur Linken hin, wie Donner klang sein
Tadel:
„Ihr Taugenichtse, bessert euch, ihr schändet euren Adel!
Ihr seidnen Püppchen, trotzet nicht auf euer Milchgesicht!
Ich frage nach des Manns Verdienst, nach seinem Adel nicht!"
6. Da sah man manches Kinderaug' in frohem Glanze leuchten,
und manches stumm zu Boden sehn, und manches still sich feuchten;
und als man aus der Schule kam, da wurde viel erzählt,
wen heute Kaiser Karl belobt, und wen er ausgeschmält.
7. Und wie's der große Kaiser hielt, so soll man's allzeit halten,
im Schulhaus mit dem kleinen Volk, im Staate mit den Alten:
Den Platz nach Kunst und nicht nach Gunst, den Stand nach dem
Verstand —
so steht es in der Schule wohl und gut im Vaterland! Gerok.
138. Wittekinds Taufe. 772—804 Sachsenkriege.
1. Es war im Winter und eine Waffenruhe eingetreten.
Wittekind streifte am andern Ufer der Elbe in der Nähe des fränki¬
schen Heeres umher. Da ward er von wunderbarer Sehnsucht er¬
griffen, zu schauen, wie die Christen ihren vielgepriesenen Gott ver¬
ehrten. Das Weihnachtsfest kam heran; da hüllte sich Wittekind
in Bettlerkleider und schlich sich beim Hereinbrechen des Morgen¬
rots ins fränkische Lager. Unerkannt schritt er durch die Reihen
der Krieger, die sich zum Gottesdienste anschickten, und betrat die
Kirche. Da wurden nicht Pferde und Rinder geopfert wie bei den
Heiden, sondern andächtig kniete Karl mit allen seinen Großen vor
dem Altare, das Sakrament zu empfangen; der Weihrauchsduft
wallte empor, und die Gesänge der Priester priesen die geweihte
Nacht, wo die Herrlichkeit des Heilands sich den Menschen offenbarte.
2. Da wurde Wittekind tief ergriffen von der Herrlichkeit des
Gottesdienstes der Christen, seine Augen füllten sich mit Tränen,
und stumm faltete er die Hände. Es war ihm, als ob das Christus¬
kind auf dem Arme der Jungfrau Maria ihm winkte und spräche:
„Komm her zu mir!" Er warf sich vor dem Altare nieder auf
die Knie, und als alle verwundert und erstaunt ihn umringten.