131. Des kleinen Volkes Hochzeitslest.
Von den Brüdern Grimm.
Deutsche Sagen. 4. Auflage, besorgt von Reinhold Steig. Berlin 1906. S. 21.
Das kleine Volk auf der Eilenburg in Sachsen wollte einmal
Hochzeit halten und zog daher in der Nacht durch das Schlüssel¬
loch und die Fensterritzen in den Saal, und sie sprangen hinab auf
den glatten Fußboden, wie Erbsen auf die Tenne geschüttet werden.
Davon erwachte der alte Graf, der im hohen Himmelbette in dem
Saal schlief, und verwunderte sich über die vielen kleinen Gesellen.
Da trat einer von ihnen, geschmückt wie ein Herold, zu ihm
heran und lud ihn in ziemenden Worten gar höflich ein, an ihrem
Fest teilzunehmen. „Doch um eins bitten wir,“ setzte er hinzu,
„Ihr allein sollt zugegen sein, keins von Eurem Hofgesinde darf
sich unterstehen, das Fest mit anzuschauen, auch nicht mit einem
einzigen Blick.“ Der alte Graf antwortete freundlich: „Weil ihr
mich im Schlafe gestört, so will ich auch mit euch sein.“ Nun
ward ihm ein kleines Weiblein zugeführt, kleine Lampenträger
stellten sich auf, und eine Heimchenmusik hob an. Der Graf
hatte Mühe, das Weiblein beim Tanz nicht zu verlieren, das ihm
so leicht dahersprang und endlich so im Wirbel umdrehte, daß er
kaum zu Atem kommen konnte. Mitten in dem lustigen Tanz
aber stand auf einmal alles still, die Musik hörte auf, und der
ganze Haufe eilte nach den Türspalten, Mauslöchern und wo sonst
ein Schlupfwinkel war. Das Brautpaar aber, die Herolde und
Tänzer schauten aufwärts nach einer Öffnung, die sich oben in
der Decke des Saales befand, und entdeckten dort das Gesicht
der alten Gräfin, welche vorwitzig nach der lustigen Wirtschaft
herabschaute. Darauf neigten sie sich vor dem Grafen, und
derselbe, der ihn eingeladen, trat wieder hervor und dankte ihm
für die erzeigte Gastfreundschaft. „Weil aber,“ sagte er dann,
„unsere Freude und unsere Hochzeit also ist gestört worden, daß
noch ein anderes menschliches Auge darauf geblickt, so soll fortan
Euer Geschlecht nie mehr als sieben Eilenburgs zählen.“ Darauf
drängten sie nacheinander schnell hinaus, bald war es still und
der alte Graf wieder allein im finsteren Saal. Die Verwünschung
ist bis auf gegenwärtige Zeit eingetroffen, und immer einer
von den sechs lebenden Rittern von Eilenburg gestorben, ehe
der siebente geboren war.