Full text: Preußens Geschichte in Wort und Bild

2. Nachdem Marie Luise ihrem Gemahl einen Sohn geboren hatte, 
der den stolzen Titel „König von Nom" erhielt, hatte sJtapoleoiV8 
Macht ihren Gipfel erreicht. Sein ungeheures Reich erstreckte sich 
von Spanien bis an Rußlands Grenzen, von der Ostsee bis an die 
Meerenge von Sicilien. Nur England und Rußland widerstanden dem 
Gewaltigen noch. Da faßte der durch sein Glück verblendete Napoleon 
den tollkühnen Plan, England in seinen ostindischen Besitzungen zu ver¬ 
nichten, zuvor aber Rußland zn demüthigen. Kaiser Alexander hatte 
sich schon längst von Napoleon's Freundschaft losgesagt und dessen Angriff 
auf fein Land erwartet. Von beiden Seiten wurden nun gewaltige 
Rüstungen betrieben. Im Sommer 1812 zog ein Heer von mehr als 
600,000 Mann gegen Rußlands Grenzen; auch Oesterreich und Preußen 
hatten sich Napoleon anschließen und Hülfstruppen stellen müssen. Der 
General 9)orf wurde Befehlshaber des 24,000 Mann starken preußischen 
Hülsskorps, welches aus dem linken Flügel der „großen Armee" unter 
dem Marschall Macdonald marschirte. Die Russen wichen vor den 
zahlreichen Feinden in das Innere ihres Landes zurück; wo sie versuchten 
zu widerstehe«, wurden sie geschlagen. Sie verloren auch Moskau. Noch 
war Napoleon siegestrunken am 13. September 1812 in die alte Haupt¬ 
stadt eingezogen, aber schon in der daraus folgenden Nacht brach die 
furchtbare Feuersbrunst aus, welche die herrliche Stadt fast ganz in einen 
Aschenhaufen verwandelte. Napoleon mußte aus der Stadt weichen; 
Alexander bat nicht um Frieden, und zu spät trat Napoleon am 18. Oc- 
tober den Rückzug an. Hunger und Elend und der russische Winter 
vernichteten seine stolze Armee. Nur klägliche Trümmer derselben kehrten 
zurück. Das war Gottes Gericht. 
3. In Preußen hatte man den Vertrag, durch welchen ein preußisches 
Hülsskorps zu der französischen Armee hatte stoßen müssen, als eine 
drückende Schmach betrachtet. Ans das erste Gerücht von dem Untergange 
der „großen Armee" verbreitete sich daher rasch die Ueberzeugung, daß 
das unnatürliche Bündnis nun fein Ende erreicht habe. Der Augenblick 
schien gekommen, wo Preußen sich entweder bedingungslos den Franzosen 
in die Arme werfen oder, von ihnen abfallend, auf Rußlands Seite 
treten mußte, um im Verein mit dieser Macht den Versuch zur Befreiung 
Deutschlands zu wagen. djork, der Befehlshaber jenes Hülsskorps, 
schickte Boten über Boten an den König nach Berlin, um dessen Ent¬ 
schluß zu erfahren, aber man hielt sie alle zurück, ohne eine bestimmte 
Antwort zu ertheilen. Inzwischen wurden die Aufforderungen der Russen 
an S2)orf, der durch russische Truppentheile bereits von Macdonald ge¬ 
trennt war, immer dringender, und weil er unter diesen Umständen vor 
allen Dingen für die Erhaltung feiner Truppen glaubte sorgen zu müssen, 
so schloß er am 30. December in der Mühle zu Poscherun bei Tau- 
roggen mit dem General Diebitfch eine Konvention dahin ab, daß das 
preußische Korps für neutral erklärt und zwischen Tilsit und Memel auf¬ 
gestellt werden sollte, bis diese Konvention von beiden Monarchen ge¬ 
nehmigt würde. Indem Aork so unter eigener persönlicher Verantwortung 
in die Geschicke des Vaterlandes eingriff, schrieb er dem Könige: „Ew. 
Majestät lege ich willig meinen Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben
	        
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