Full text: Geschichte des Altertums (Teil 1)

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22. Der Löwe und der Tiger. 
Das sind ein paar gewaltige Katzen, die mit ganz andern Geschöpfen 
als der kleinen Maus, zu'spielen verstehen. Daß sie übrigens doch Katzen 
sind nach ihrem ganzen Körperbau und ihrem Naturell, lehrt >chon die ober- 
stächliche Betrachtung des im Käsig kauernden oder tobenden Thieres, noch 
zuverlässiger aber die mit allen Hülfsmitteln vorgenommene Untersuchung und 
Beobachtung des Naturforschers. Da diese Thiere fern von hier ihre Hei- 
math haben, so können wir sie nur aus (immer mangelhaften) Abbildungen 
und Beschreibungen, die Großstädter schon besser in Menagerien, Museen und 
zuweilen sogar in zoologischen Gärten kennen lernen. 
Der Löwe, wegen seiner gewaltigen Kraft, fürchterlichen Stimme und 
majestätischen Gestalt und Bewegung von Alters her mit Recht „der König 
der Thiere" genannt, ist einfarbig braungelb, 5—8 Fuß lang, 3| Fuß hock 
und hat einen mit einer Endquaste und einer kurzen Hornspitze (Stacke!) 
versehenen 3—4 Fuß langen Schwanz. Der heranwachsende männliche Löwe 
erhält überdies einen schönen Schmuck in der starken Mähne. Kopf, Hals 
und Schultern des Löwen sind von außerordentlicher Stärke, der Hintere Theil 
fällt etwas weg. Die Löwin wirft 3 Junge mit schon offenen Augen. 
Der Tiger, das furchtbarste aller Raubthiere, ist 5—8 Fuß lang, 
2£ Fuß hoch, am Körper rostgelb, mit schwarzen Querftreifen gefärbt und 
am 2% Fuß langen Schwänze schwarzgeringelt. Weil er niedriger ist, als 
der Löwe und keine Mähne trägt, erscheint er länger, als dieser; er ist aber 
auch schlanker und zeigt ein kraft- und prachtvolles Muskelspiel in dem in 
langen Bogen sich erstreckenden Körper. 
Wer diese fürchterlich schönen Katzen im Käfige sieht, wie sie, dem festen 
Blicke, der entschlossenen Stimme und der schwachen Peitsche (die allerdings 
in einem geladenen Pistol größere Bedeutung erhält), etwa eines Kreutzberg 
gehorchend, ihre Künste machen oder gemeinschaftlich aus der ihnen von der 
Hand ihres Bändigers präsentirten Schüssel speisen, der bekömmt einen 
schlechten Begriff von ihnen, selbst wenn er zu anderer Stunde der Fütterung 
beiwohnt. Im Käfig haben sie den Gebrauch ihrer Kräfte entweder nie er¬ 
lernt, oder bereits verlernt. 
Will man ihre Stärke, Schönheit, Wildheit, ihre andern auszeichnenden 
Eigenschaften und ihre Lebensweise richtig sich vorstellen, so muß man sie 
in ihrem Vaterlande sehen oder den Bericht zuverlässiger Reisenden hören. 
Der Löwe, in alter Zeit, wie aus der Geschichte bekannt ist, nicht 
nur in ganz Afrika, dem westlichen Asien, Persien und Vorderindien, sondern 
auch in Griechenland, Makedonien und auf Sicilien lebte, ist jetzt freilich aus 
Europa und dem westlichen Asien gänzlich verdrängt und in den übrigen 
Erdstrichen seines früheren Revieres durch Cultur und Feuergcwehre vielfach 
beschränkt; er beherrscht aber in dem großen Afrika und einem großen Theile 
Asiens noch ein gewaltiges Reich. Wenn dort in stiller Nacht seine Stimme 
in der Wüste tönt oder in den Bergen donnert, so stutzt und zittert Alles, 
was einen lebendigen Odem hat. In wahrhaft königlichem Laufe — er kann 
30 Fuß weit springen — durchmißt er sein Reich; und wehe dem Thiere, 
das er zu seinem Raube ausersehen! Ein Schlag seiner Tatze zerschmettert 
das Rückgrat des Pferdes, mit einem Schafe im Maule galoppirt er noch. 
Seine oft gepriesene Großmnth setzen Manche in Zweifel; doch soll er den 
von ihm überraschten Menschen nicht ergreifen, wenn derselbe sich völlig ruhig
	        
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