Full text: Von Luther bis zum Dreißigjährigen Krieg (Teil 4)

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erfüllung. Die liebste Arbeit ist ihm das gründliche Studium der 
Schrift (weitere Vertiefung in den Gedanken der Glaubensgerechtigkeit), 
wozu ihn sein Lehramt an der Universität nötigt, und die Predigt 
(Mitteilung seines religiösen Lebens an die Gemeinde). Die Bedeutung 
der Doktorwürde und des Doktoreides liegt also in folgendem: Durch 
berufsmäßige gründliche Beschäftigung mit Paulus und den Evangelien 
lernte er den Gedanken der Glaubensgerechtigkeit immer tiefer 
verstehen und erfassen, so daß dieser Gedanke allmählich mit seinem 
Denken und Fühlen vollständig verwuchs, ihm zur inner st en Über¬ 
zeugung und zum köstlichsten Besitz wurde („köstliche Perle"). Wenn 
also dies Heiligtum von irgend jemand verletzt oder genommen werden 
sollte, so mußte Luther zum Kampf auf Tod und Leben gereizt und so 
aus seiner Klosterstille, in die er sich zu vergraben gedachte, herausge¬ 
rissen werden. Das geschab aber durch Tetzel und den Papst. — Und 
so sind wir wieder bei unserm Ausgangspunkt „Tetzels Ablaßhandel" 
angelangt. 
H a u^p t z u s a m m e n s a s s u n g. Aneinanderreihung der sechs Stücke 
nach den Überschriften und Wiederholung ihres Hauptinhaltes. 
IIb Wir können nun die beiden Fragen beantworten, die wir 
oben (Stufe I) ausgestellt haben. 
1. Die erste Frage: Warum wurde Luther ein Mönch? 
haben wir schon (unter IIa, 3) beantwortet, indem wir hinwiesen auf 
die äußeren und inneren Erlebnisse, die ihn zu dem Entschluß trieben. 
Aber da erhebt sich die andere Frage: Wozu mußte der Mann, der die 
Kirche reformieren sollte, erst ein Mönch werden und so erst den großen 
Umweg über den Irrtum machen? Die Antwort hierauf ist zugleich 
Antwort auf unsere zweite obige Frage: 
2. Wie kam der katholische Mönch Luther zu evange¬ 
lischen Gedanken? Gerade das katholische Mönchsleben machte unsern 
Luther evangelisch; gerade das Durchlaufen des falschen Heilsweges 
brachte ihn auf den richtigen evangelischen Heilsweg; gerade 
das Übermaß der „guten Werke" brachte ihn zur Einsicht in ihre Wert¬ 
losigkeit vor Gott, gerade die Angst vor dem zürnenden Gott brachte 
ihn zum kindlichen Vertrauen und Glauben an den liebenden Vater. 
Denn seine Sehnsucht nach dem gnädigen Gott wurde durch die „guten 
Werfe" nicht gestillt, der Friede Gottes wollte nicht kommen, sondern 
nur Angst und zuletzt Verzweifelung. Da wurde dem Verzweifelten der 
Glaube an die Vaterliebe Gottes dargeboten, und er griff nach ihm, wie 
der Ertrinkende nach der Hand des Retters, und fand in ihm den er¬ 
sehnten Frieden und neue Lebensfreude. Es ist also nicht etwa schade, 
daß Luther den großen Umweg über Irrtum und Zweifel gemacht hat, 
denn nur so konnte er sich die Wahrheit selbst erringen im heißen Kamps, 
nur so konnte ihm die evangelische Wahrheit der festeste und köstlichste 
Besitz werden. Er, der einst viele Millionen über den Irrtum seiner
	        
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