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seine Schulter legen will, und nun läßt er die Gegner kommen, gegen
die Luther zum Schwert greifen muß, läßt den Sturmwind erbrausen,
der Luther aus seiner Klosterstille heraustreibt und ihn weithin sichtbar
als den Führer an die Spitze des Volkes stellt.
III. 1. Zusammenstellung der besprochenen Thatsachen in chrono
logischer Reihenfolge und Verbindung derselben mit den Jahrzahlen
(vergl. IV, 1).
2. Vergleich dieser Thatsachen nach ihrer Wichtigkeit, d. H. nach ihrem
Einfluß auf die innere Umwandlung Luthers. Ergebnis. Seine
Erziehung im Elternhaus und in der Schule macht ihn zum frommen
katholischen Christen und treibt ihn so zum Eintritt ins Kloster. Aber
gerade das, was ihn zum unterwürfigen Knecht Roms und zum katho¬
lischen Heiligen machen sollte, erzeugt in ihm evangelische Gedanken und
löst ihn innerlich von der katholischen Kirche los (Belege!). Die Reise
nach Rom bereitet auch seine äußerliche Loslösung von Rom vor.
3. Zusammenstellung der Eigenschaften Luthers, die in
den verschiedenen Abschnitten seines Lebens, auch im Ablaßstreit, her¬
vortreten. Vergleich dieser Eigenschaften unter einander zur Unter¬
scheidung der Grundzüge und Nebenzüge seines Charakters. Der
tiefste Grundzug feines Herzens ist der Zug zu Gott, der
Trieb zur Vereinigung mit ihm, zum Leben in ihm, die Frömmig¬
keit. Mit ihm paart sich die Gewissenhaftigkeit, die ängst¬
liche Scheu auch vor der kleinsten Sünde, die innige Liebe zum Guten.
Beide Züge vereinigen sich in der Wahrhaftigkeit, d. h. in dem
Drange, stets nach seiner besten Überzeugung (nach der göttlichen Stimme
im Herzen) zu leben und zu handeln, und werden zur unwiderstehlichen
Macht durch den festen Willen, mit dem er seine beste Überzeugung
geltend macht und ausführt (Eintritt ins Kloster, Loslösung von der
Mönchsgerechtigkeit, Kampf gegen den Ablaß). Aus diesen Grundzügen
seines Wesens fließen dann von selbst die übrigen Züge seines
Wesens: Demut und Bescheidenheit, Mut und Todesverachtung,
Gottvertrauen und Nächstenliebe, Pflichteifer und Selbst¬
verleugnung, heiliger Zorn über alles gottlose Wesen (Rom, Ablaß)
— ober sie sind aufs glücklichste mit ihm verbunden wie: Fleiß und
Strebsamkeit, Klarheit und Tiefe im Denken, Bered¬
samkeit in Wort und Schrift. — Zusammenfassung, vergl IV, 3.
4. Das wichtigste Ereignis in Luthers seitherigem Leben ist, wie
wir erkannt haben, die Umwandlung des katholischen Mönchs, der
durch feine guten Werke die Gnade Gottes erzwingen will, in den Christen,
der sich mit kindlichem Vertrauen der Gnade Gottes hingiebt. So
wollte auch Christus feine Christen haben, wie sich aus dem Gleich¬
nisse vom Pharisäer und Zöllner und vom verlorenen Sohn, sowie aus
zahlreichen Aussprüchen (z. B. „Martha, du machst dir viele Mühe") er-
giebt. Luther ist also durch seine eigene innerste Erfahrung auf den
rechten evangelischen Heilsweg geführt worden. Als Mönch
war er auf dem falschen Weg, gerade wie die selbstgerechten Pharisäer,
gegen die Christus fortwährend so eifrig kämpfte. Dieselben Er-