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Palästen und Hätten drangen unzählige heiße Gebete um Genesung des viel¬
geliebten Kaisers znm Himmel empor. Doch Gott hatte es anders beschlossen.
Das Leiden wurde immer schlimmer, die Kräfte schwanden. Kein Wort der
Klage kam ans seinem Munde; geduldig und gottergeben sah er dem Tode
entgegen. Seinem ältesten Sohne schrieb der edle Dulder auf dem Kaiser-
throne die Worte auf: „Lerne leiden, ohne zu klagen, das ist das Einzige,
was ich dich lehren kann." Und seiner Tochter Sophie, welche am Tage
vor seinem Tode Geburtstag hatte, schrieb er mit zitternder Hand folgenden
Glückwunsch ans einen Zettel: „Liebes Kind, bleibe gut lind fromm, wie
du es immer gewesen bist. Dies ist der letzte Wunsch deines sterbenden
Vaters."
11. Trotz schlechten Wetters wartete täglich eine große Menge Volkes
vor dem königlichen Schlosse, bis der geliebte Landesvater sich am Fenster
zeigte. Wer ihn gesehen hatte, ging hochbeglückt nach Hause. Einmal befand
sich unter der Menge eine Frau, welche die Umstehenden aufforderte, ein
Zehnpfennigstück zu spenden, um einem der Blumenhändler sämtliche Veilchen,
die Lieblingsblnmen des hohen Kranken, abzukaufen und sie als Geschenk
des Volkes dem Kaiser zu überbringen. Viele kamen dieser Aufforderung
mit Freuden nach. Die Blumen wurden gekauft und in einem Korbe ins
Schloß geschickt. Wie beglückt war der Kranke, als er den schlichten Korb
erblickte, in welchem etwa 150 duftende Veilchen lagen! Freudig breitete er
die Hände ans, schlug sie dann wieder zusammen und seine Lippen flüsterten:
„Oh! Oh!" Kaiser Friedrich wußte in diesem Augenblicke, daß er den höchsten
und schönsten Schatz eines Fürsten besaß, die aufrichtige und treue Liebe
seines Volkes! — Als die Kaiserin Viktoria einmal eine Markthalle zu
Berlin besuchte, überreichte ihr die Frau eines Gemüsehändlers einen pracht¬
vollen Blumenstrauß. Die Fürstin war über dieses unerwartete Geschenk
sehr erfreut und wollte sich gerne dankbar erweisen. Sie fragte deshalb die
Geberin: „Haben Sie irgend einen Wunsch, meine liebe Frau, den Sie gerne
erfüllt sehen möchten?" Da antwortete die Frau und Thränen traten ihr
dabei in die Augen: „Majestät, ich habe nur den einzigen Wunsch, daß unser
lieber, guter Kaiser wieder gesund werden möchte." Als die Kaiserin diese
Worte hörte, war sie tief bewegt; mit Thränen in den Augen entfernte
sie sich.
12. Am 15. Juni 1888 erlöste der Tod Kaiser Friedrich III. von
seinen schweren Leiden. Millionen treuer Herzen waren über das frühe Hin¬
scheiden dieses edlen und menschenfreundlichen Kaisers aufs tiefste erschüttert.
Nur 99 Tage lang hat „unser Fritz", der große Dulder, die deutsche Kaiser¬
krone getragen. Seine sterbliche Hülle ruht in der Friedenskirche zu Potsdam.
40. Kaiser Wilhelm II.
1. Es war am 27. Januar des Jahres 1859. Da verkündigte Ka-
nonendonner der Stadt Berlin, daß ein Prinz geboren sei. Hierüber war
große Freude. Von der Kuppel des königlichen Schlosses herab ertönte
der Choral: „Nun danket alle Gott." Alle Häuser wurden beflaggt, und
abends war die ganze Stadt festlich illuminiert. Der Neugeborene war —
Pàz Wilhelm, unser jetziger Kaiser! Sein Vater war Prinz Friedrich
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