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155. Smyrna und seine Umgebung.
An Bord im Hafen von Smyrna, den 4. August 1836.
Als ich mein letztes Schreiben auf die Post gegeben, traf
ich in Konstantinopel das Dampfschiff der Regierung, eben im
Begriff die Anker zu lichten um nach Smyrna abzugehen. Da
ich den Kapitän gut kannte, so stieg ich an Bord, wie ich war,
um diesen merkwürdigen Punkt des Orients kennen zu lernen.
Wind, Strömung und Dampfkraft vereinigten sich, uns schnell
durchs Marmarameer und den Hellespont dem Archipel zuzu¬
führen, den die Türken das weiße Meer nennen. Nachdem wir
an den Dardanellenschlössern mit ihren Riesenkanonen vorüber¬
geeilt waren, breitete sich das Ägäische Meer mit seinen schönen
Felsinseln Jmbros, Lemnos und dem hohen Gipfel von Samo-
thraki vor uns aus. Das Wasser ist von himmelblauer Farbe
und so klar, daß man die mächtigen Delphine, welche weite
Strecken neben dem Schiffe pfeilschnell dahinschießen, deutlich
sieht. Von Zeit zu Zeit sprangen sie schnaubend aus ihrem
Elemente heraus hoch in die Luft.
Am frühen Morgen liefen wir in das von hohen Gebirgs-
gruppen umgebene weite Becken von Smyrna ein. Der Voll¬
mond leuchtete noch, als schon der östliche Himmel sich dunkelrot
färbte, wie wenn der asiatische Boden von der gestrigen Hitze
noch glühte. Die Berge sind ganz kahl, von der Sonne ver¬
brannt, aber von äußerst schönen Formen. Am Fuß derselben,
längs des Meeres zieht sich ein grüner Streif von bebautem
Land mit Weinbergen, Oliven, Maulbeerbäumen und dunkeln
Zypressen hin. Die Dörfer und Häuser sind von Stein mit
flachem Dach erbaut. Am Ende der Bucht zeigt sich nun Smyrna,
welches amphitheatralisch an den hinterliegenden Bergen empor¬
steigt. Unten am Meere hinter den Schiffen erkennt man zuerst
eine große Kaserne, eine Batterie, eine schöne Karawanserei mit
vielen Kuppeln, mehreren Moscheen und links die Frankenstadt
mit steinernen Gebäuden. In zweiter Region zeigt sich die
eigentlich türkische Stadt. Wenn eine Handvoll kleiner roter
Häuser, einige Moscheen und Springbrunnen vom Himmel auf
die Erde herabfielen, so könnte der Bauplan nicht bunter aus¬
fallen als der dieser Stadt. Man erstaunt, daß man noch Wege
Lesebuch für Höhere Mädchenschulen. 7. Schuljahr. 2. Aufl. 22