2. Kapitel. Die orientalischen Völker.
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c. Grofse Verschiedenheiten weisen aber nicht nur die körper¬
lichen Verhältnisse der Menschen auf, sondern auch ihre geistigen.
Auf letzterem Gebiete kommt namentlich die Religion in Be¬
tracht, die Beziehung des endlichen Menschen auf ein unend¬
liches, von allen Schranken des Irdischen und Körperlichen
freies, „absolutes“ Wesen. Im Anfang glaubten die Menschen,
dafs die Natur und ihre Kräfte nicht als unbewufst zu denken
seien, sondern sie stellten sich dieselbe als göttliche Wesen vor.
Der Donner, der sie erschreckte, der Regen, der ihre Fluren er¬
quickte, war kein blofs natürlicher Vorgang, sondern Werk eines
Gottes. Naturgemäfs führte dieser Glaube zur Vielgötterei
(Polytheismus); wo wir ein Volk nur einen Gott verehren sehen,
dürfen wir dies nicht als Monotheismus, sondern müssen es als
Henotheismus auffassen; d. h. das Volk verehrt nicht grundsätzlich
den einen Gott, sondern nur thatsächlich diesen oder jenen
einzelnen Gott, dessen Schutz es sich ausschliefslich befohlen
glaubt. Es gehörte schon eine viel höhere Stufe der religiösen
Entwicklung dazu, in der bunten Mannigfaltigkeit der natürlichen
Kräfte die eine, alles treibende und in Bewegung setzende Kraft
zu erkennen und von dem Glauben an die vielen Götter zu der
Überzeugung durchzudringen, dafs es nur einen Gott gebe und
nur einen geben könne. Dieser grundsätzliche Monotheismus ist
zuerst bei den Juden aus deren anfänglichem Henotheismus ent¬
wickelt worden; aber auch die Völker des klassischen Altertums
sind wenigstens zur Ansicht gelangt, dafs über allen Göttern
Zeus (Jupiter) und über ihm die Moira stehe, das unerbittliche,
unabwendbare Schicksal.
Zweites Kapitel.
Die orientalischen Völker.
a. Asien gilt noch immer als die Heimat des Menschen¬
geschlechts, von wo aus dessen einzelne Zweige sich nach Osten
(Amerika) und Westen (Europa und Afrika) oder Süden (Austra¬
lien) verbreitet haben werden; einen Ausgangspunkt sicher zu
bestimmen ist freilich nicht wohl möglich. Aus uralter Zeit ist
bei verschiedenen Völkern — bei den Mesopotamiern und Juden
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