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das Volk ausrufen: Der ist noch tapferer als sein Vater." Nach
diesen Worten gab er das Kind der Mutter, streichelte ihr die Wange
und sprach: „Armes Weib, gräme dich doch nicht allzu sehr! Nichts
werden die Feinde über mich vermögen, wenn es nicht Beschluß der
Götter ist: seinem Schicksal aber ist noch kein Sterblicher entronnen.
Gehe zurück ins Haus und überwache die Dienerinnen. Das Ge¬
schäft des Krieges aber gebührt Trojas Männern und mir vor allen
am meisten."
Dann ging er. Andromache aber sah ihm noch lange nach,
uud heiße Thränen flössen ihr von den Wangen. — Am Thore traf
Hektor seinen Bruder Paris, der sich unterdes auch gerüstet hatte,
und schnellen Schrittes eilten sie beide zum Kampfplatz.
9. Als Hektor wieder auf dem Schlachtfelde erschien, trat er
alsbald zwischen die kämpfenden Heere. Sogleich ruhte der Streit
auf beiden Seiten. Hektor aber rief mit lauter Stimme: „Höret
mich, Trojaner und Griechen! Unser Schwurbündnis haben die
Götter vereitelt, und unser Zwist ist nicht geschlichtet worden, wie
wir es hofften. So wollen wir denn einen neuen Zweikampf be¬
stimmen, der dem weiteren Blutvergießen jetzt ein Ende mache.
Wohlauf, ihr Griechen, sendet den tapfersten eurer Helden her, um
mit mir zu kämpfen! Überwindet er mich, so möge er meine Waffen
und Rüstung mit sich zu den Schiffen nehmen, meinen Leichnam
aber liefere er den Trojanern zurück, damit ihm die Ehre des Scheiter¬
haufens erwiesen werden kann. Dasselbe verspreche ich meinem
Gegner, falls die Götter mir den Sieg gewähren."
Da traten neun der Griechenhelden hervor und erboten sich zu
dem Kampfe. „So möge das Los entscheiden, wer zu dem ruhm¬
vollen Streite der tauglichste ist," sprach der weise Nestor. ‘ Jeder
warf ein Los in den Helm Agamemnons, Nestor schüttelte, und
heraus sprang das Los des gewaltigen Ajas. Freudig waffnete sich
der Held, und bald stürmte er mächtigen Schrittes dem harrenden
Hektor entgegen. Die Griechen frohlockten bei seinem Anblick, die
Trojaner aber zitterten, als er daher kam, in der Linken den ehernen
Schild, der mit sieben Stierhäuten bezogen war. „Jetzt sollst du
erfahren," sprach er drohend zu Hektor, „daß es im Heere der Griechen
noch Helden giebt, wenn auch der löwenherzige Achilleus müfftg bei
den Schiffen liegt. Wohlan, beginne den Kampf!"
Hektor entsandte in hohem Schwünge die Lanze. Sie fuhr
dem Ajas in den Schild, durchdrang sechs der ledernen Schichten
und ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt sauste die Lanze des
Ajas durch die Lust: sie fuhr durch Hektars runden Schild und
durchschnitt seinen Leibrock; doch drang sie ihm nickt ins Fleisch, da
er sich geschickt zur Seite bog. Hieraus zogen beide die Lanzen aus
den Schilden und rannten damit wie blutgierige Löwen aufs neue
gegen einander. Hektor stieß mitten aus den Schild des Ajas, aber
feine Lanzenspitze bog sich krumm und durchbrach das Erz nicht.
Ajas jedoch durchbohrte den Schild des Gegners und verwundete
ihn am Halse, daß das Blut ihm auf den Panzer rann. Gleich¬
wohl ließ Hektor nicht ab vom Kampfe. Er wich nur ein wenig