— 122 — 
das Volk ausrufen: Der ist noch tapferer als sein Vater." Nach 
diesen Worten gab er das Kind der Mutter, streichelte ihr die Wange 
und sprach: „Armes Weib, gräme dich doch nicht allzu sehr! Nichts 
werden die Feinde über mich vermögen, wenn es nicht Beschluß der 
Götter ist: seinem Schicksal aber ist noch kein Sterblicher entronnen. 
Gehe zurück ins Haus und überwache die Dienerinnen. Das Ge¬ 
schäft des Krieges aber gebührt Trojas Männern und mir vor allen 
am meisten." 
Dann ging er. Andromache aber sah ihm noch lange nach, 
uud heiße Thränen flössen ihr von den Wangen. — Am Thore traf 
Hektor seinen Bruder Paris, der sich unterdes auch gerüstet hatte, 
und schnellen Schrittes eilten sie beide zum Kampfplatz. 
9. Als Hektor wieder auf dem Schlachtfelde erschien, trat er 
alsbald zwischen die kämpfenden Heere. Sogleich ruhte der Streit 
auf beiden Seiten. Hektor aber rief mit lauter Stimme: „Höret 
mich, Trojaner und Griechen! Unser Schwurbündnis haben die 
Götter vereitelt, und unser Zwist ist nicht geschlichtet worden, wie 
wir es hofften. So wollen wir denn einen neuen Zweikampf be¬ 
stimmen, der dem weiteren Blutvergießen jetzt ein Ende mache. 
Wohlauf, ihr Griechen, sendet den tapfersten eurer Helden her, um 
mit mir zu kämpfen! Überwindet er mich, so möge er meine Waffen 
und Rüstung mit sich zu den Schiffen nehmen, meinen Leichnam 
aber liefere er den Trojanern zurück, damit ihm die Ehre des Scheiter¬ 
haufens erwiesen werden kann. Dasselbe verspreche ich meinem 
Gegner, falls die Götter mir den Sieg gewähren." 
Da traten neun der Griechenhelden hervor und erboten sich zu 
dem Kampfe. „So möge das Los entscheiden, wer zu dem ruhm¬ 
vollen Streite der tauglichste ist," sprach der weise Nestor. ‘ Jeder 
warf ein Los in den Helm Agamemnons, Nestor schüttelte, und 
heraus sprang das Los des gewaltigen Ajas. Freudig waffnete sich 
der Held, und bald stürmte er mächtigen Schrittes dem harrenden 
Hektor entgegen. Die Griechen frohlockten bei seinem Anblick, die 
Trojaner aber zitterten, als er daher kam, in der Linken den ehernen 
Schild, der mit sieben Stierhäuten bezogen war. „Jetzt sollst du 
erfahren," sprach er drohend zu Hektor, „daß es im Heere der Griechen 
noch Helden giebt, wenn auch der löwenherzige Achilleus müfftg bei 
den Schiffen liegt. Wohlan, beginne den Kampf!" 
Hektor entsandte in hohem Schwünge die Lanze. Sie fuhr 
dem Ajas in den Schild, durchdrang sechs der ledernen Schichten 
und ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt sauste die Lanze des 
Ajas durch die Lust: sie fuhr durch Hektars runden Schild und 
durchschnitt seinen Leibrock; doch drang sie ihm nickt ins Fleisch, da 
er sich geschickt zur Seite bog. Hieraus zogen beide die Lanzen aus 
den Schilden und rannten damit wie blutgierige Löwen aufs neue 
gegen einander. Hektor stieß mitten aus den Schild des Ajas, aber 
feine Lanzenspitze bog sich krumm und durchbrach das Erz nicht. 
Ajas jedoch durchbohrte den Schild des Gegners und verwundete 
ihn am Halse, daß das Blut ihm auf den Panzer rann. Gleich¬ 
wohl ließ Hektor nicht ab vom Kampfe. Er wich nur ein wenig
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.