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Schelten ging der König von dannen, am Mittag aber schickte er
einen Boten mit einer Schüssel der besten Speise von seinem Tische
zu der Bäckersfrau und ließ ihr sagen: „Das schickt dir der Kriegs¬
knecht, den du heute früh so unfreundlich behandelt hast." Als die
Frau erfuhr, wen sie gescholten und begossen hatte, erschrak sie sehr,
eilte zum König und bat ihn fußfällig um Gnade. Der aber sagte,
er wolle ihr nur verzeihen, wenn sie das, was sie am Morgen gesagt,
vor all seinen Güsten wiederhole. Die Frau wollte das zwar au-
faugs nicht, sie mußte es aber doch thun, zum Ergötzen und Gelächter
des Königs und seiner Gäste. Das war ihre einzige Strafe, und
sehr ersreut über den glücklichen Ausgang kehrte sie in ihr Hans zurück.
7. Das Andenken an König Rudolf hat das deutsche Volk
noch lange nach seinem Tode hochgehalten, und wenn man später von
einem Menschen sagen wollte, daß es ihm an redlichem Sinn und
an Gerechtigkeit fehle, fo sagte man: „Der hat Rudolfs Redlichkeit
nicht." Zweiundsiebzig Jahre war der König alt, als er einst bei
einem Aufenthalte in Germersheim merkte, daß es mit seinen Kräften
zu Ende ging. Da machte er sich aus nach Speier, wo er in dem
Dome neben den Särgen früherer Kaiser begraben sein wollte. Dort
wollte er auch sterben. Wie bei diesem „Ritt zum Grabe" die große
Verehrung und Liebe sich zeigte, die er bei seinen Dienstleuten und
bei seinem Volke genoß, das hat der Dichter Justinus Kerner in
folgendem Gedichte geschildert.
1. Ans der Burg zu Germersheim,
Stark am Geist, am Leibe schwach,
Sitzt der greise Kaiser Rudolf,
Spielend das gewohnte Schach.
2. Und er spricht: „Ihr guten Meister-
Ärzte, sagt mir ohne Zagen,
Wann aus dem gebrochnen Leib
Wird der Geist zu Gott getragen?"
3. Und die Meister sprechen: „Herr,
Wol noch heut' erscheint die Stunde!"
Freundlich lächelnd spricht der Greis:
„Meister, Dank für diese Kunde!
4. „Auf nach Speier! Auf uach Speier!"
Ruft er, als das Spiel geendet.
„Wo so mancher deutsche Held
Liegt begraben, sei's vollendet!
5. Blast die Hörner, bringt das Roß,
Das mich oft zur Schlacht getragen!"
Zaudernd stehn die Diener all';
Doch er ruft: „Folgt ohne Zagen!"
6. Und das Schlachtroß wird gebracht.
„Nicht zum Kampf, zum ew'gen Frieden,"
Spricht er, „trage, treuer Freund,
Jetzt den Herrn, den lebensmüden!"
7. Weinend steht der Diener Schar,
Als der Greis auf hohem Rosse,
Rechts und links ein Kapellan,
Zieht, halb' Leich', ans seinem Schlosse.
8. Trauernd neigt des Schlosses Linde
Vor ihm ihre Äste nieder;
Vögel, die in ihrer Hut,
Singen wehmutsvolle Lieder.
9. Mancher eilt des Wegs daher,
Der gehört die bange Sage,
Sieht des Helden sterbend Bild
Und bricht aus in laute Klage.
10. Aber nur von Himmelslusr
Spricht der Greis mit jenen zweien;
Lächelnd blickt sein Angesicht,
Als ritt' er zur Lust im Maien.
11. Von dem hohen Dom zu Speier
Hört man dumpf die Glocken schallen;
Ritter, Bürger, zarte Frauen
Weinend ihm entgegen wallen.
12. In den hohen Kaisersaal
Ist er rasch noch eingetreten;
Sitzend dort auf golduem Stuhl,
Hört man für das Volk ihn beten.