Full text: Die vorchristliche Zeit (Theil 1)

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legten die Zwillinge in einen Korb und setzten diesen auf das Waffer der 
Tiber, die zum Glück eben ausgetreten war, so daß der Strom das Schiff¬ 
lein nicht fortführte. Der Korb blieb an einem wilden Feigenbäume hängen, 
und als das Wasser gefallen war, stand er auf dem Trockenen. Der Gott 
Mars aber erbarmte sich seiner Söhne und sandte die ihm geheiligten 
Thiere zur Rettung. Eine durstige Wölfin kam an den Fluß, hörte der 
Kinder Wimmern, trug sie in die Höhle, leckte und bettele sie auf ein 
weiches Lager und säugte sie dann. Später flog auch der Vogel Specht, 
der Vogel des Mars, herbei und brachte Fleisch. So wurden die Knaben 
mit kräftiger Speise genährt. 
Solches Wunder erblickte Faustulus, des Königs Hirte, und sein 
Herz erbarmte sich der Knaben. Er brachte sie zu seiner Frau, die ihr 
Söhnlein durch den Tod verloren hatte, und Acca Laurentia, die Hir¬ 
tenfrau, Pflegte die Zwillinge wie eine Mutter. Romulus und Remus 
wuchsen heran und tummelten sich mit zwölf anderen Hirtenknaben weid¬ 
lich herum. Als sie mit ihren Gespielen heranwuchsen, baueten sie sich 
selber Hütten auf dem palatinischen B er ge; die Jünglinge kämpften 
rüstig gegen Raubthiere und tapfer gegen Räuber, jeder an der Spitze 
einer kleinen Schaar. Zuweilen führten sie auch wohl Krieg untereinander, 
öfter noch geriethen sie in Händel mit andern Hirten, namentlich mit denen 
Numitor's, die auf dem av entinisch en Berge weideten. Bei solch'einer 
Fehde wurde einst Remus gefangen und vor Nmnitor gebracht. Diesem 
fiel die edle Haltung des kräftigen Jünglings auf und er forschte nach 
dessen Herkunft. Da begab sich Faustulus mit seinem Pflegesohn Ro¬ 
mulus nach Albalonga und entdeckte dem Numitor Alles. Mit Freuden 
erkannte dieser seine herrlichen Enkel und offenbarte ihnen, was Amulius 
Uebels gethan. Alsbald machten sich Romulus und Remus mit ihren 
Gefährten auf, erschlugen den bösen König Amulius und setzten den guten 
Numitor auf dessen Thron. Dann gründeten sie an der Stelle, wo der 
heilige Tiberstrom sie an den Feigenbaum gesetzt hatte, mit ihren Freun¬ 
den eine eigene Stadt, im I. 753 v. Chr. Romulus bespannte einen 
Pflug mit zwei weißen Rindern, zog um den palatinischen Berg im Viereck 
eine Furche, und neben dieser Furche ließ er rings herum einen Erdwall 
auswerfen. An der Selle, wo später ein Thor sein sollte, ward der Pflug 
aufgehoben. In den innern Raum aber wurden kleine ärmliche Lehmhütten 
gebauet, die mit Schilf und Stroh kümmerlich bedeckt waren. 
Als der Bau vollendet war, entstand unter den Brüdern ein Streit, 
welcher von ihnen der neugegründeten Stadt den Namen geben und als 
König über sie herrschen sollte. Auf den Rath ihres Großvaters Numi¬ 
tor beschlossen sie, der Götter Willen durch den Vogelflug zu erfunden, 
und wem zuerst ein glückliches Zeichen sich offenbaren würde, der sollte 
König sein. Lange harrten sie auf verschiedenen Bergen. Endlich erschie¬ 
nen dem Remus sechs Geier; er brachte die glückliche Kunde seinem Bru¬ 
der Romulus, da flogen an diesem zwölf Geier vorüber unter Donner und 
Blitz. Remus behauptete, er müsse den Vorzug haben, weil ihm zuerst
	        
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