Full text: Erzählungen aus der Deutschen Geschichte

er viele geringe Dienste thun. Später wurde er hiervon befreit und gewann 
wieder mehr Zeit zum Studiren. Unablässig las er die heilige Schrift, die 
Bücher der alten Kirchenväter und nebenbei die Geschichte der Konstanzer 
Kirchenversammlung. „Ich glaubte, die Wände müßten schwarz werden,” 
schrieb er, „als ich Hussens Schriften in die Hand nahm, aber welch ein großer 
Mann ist Huß gewesen! Er stand allein im Kampfe gegen die ganze Welt, 
da er die Wahrheit vertheidigte und ließ eher sein Leben, denn daß er seinen 
Herrn verleugnet hätte. Ich nenne ihn billig Sanct Johannes Huß und weiß 
auch, daß der Papst mit allen Bischöfen und Priestern nicht so viel werth war, 
als dieser einzige Mann." — Durch sein unablässiges Studiren und durch die 
Erkenntniß, daß die ganze Kirche seiner Zeit nicht auf dem Grunde der heiligen 
Schrift stehe, wie die Kirche der ersten Jahrhunderte — verfiel Luther in eine 
schwere Krankheit. Als er drei Tage lang nicht seine Zelle verließ und diese 
dann mit Gewalt geöffnet wurde, fand man den Unglücklichen besinnungslos 
am Boden liegen. Nachdem man ihn auf sein Lager getragen, gestand er 
einem alten Klosterbruder, daß seine Seele an Gott und ihrer eigenen Seligkeit 
verzweifelt sei. Der alte Mönch tröstete ihn, so gut er konnte. Bald darauf 
kam der Aufseher der Augustinerklöster, Staupitz, zum Besuch, und diesem 
liebevollen Mann gelang es, das Gemüth des Kranken zu beruhigen. Auf 
L>taupitz' Empfehlung wurde Luther im Jahre 1508 zum Lehrer an die 
Universität in Wittenberg berufen; vier Jahre später ernannte man ihn zum 
Doctor der Theologie. 
Luther zog nach Wittenberg und nahm Wohnung im dortigen Augustiner¬ 
kloster. Als Lehrer an der Hochschule und als Prediger an der Wittenberger 
Schloßkirche wirkte er außerordentlich segensreich. In seiner schweren Krankheit 
hatte er das Gelübde gethan, eine Wallfahrt nach Nom zu machen. Dies 
brachte er 1510 zur Ausführung. Zugleich bekam er den Auftrag, in ver¬ 
schiedenen Angelegenheiten seines Ordens den Papst zu befragen. Je mehr 
Luther sich der „ewigen Stadt" näherte, desto größer wurde seine Ehrfurcht. 
Als er endlich ankam und am Fuße der herrlichen Peterskirche stand, fiel er 
nieder, um sich knieend die Stufen hinauf zu bewegen, welche zum Eingang führten. 
Er hatte erwartet, in Rom die heiligsten Menschen, die frömmsten Christen zu 
finden, allein hierin fand er sich sehr getauscht. Die Folge war, daß die Ehr¬ 
furcht, welche er vor Rom gehegt hatte, völlig dahinschwand. 
23. Der Äblaßstreit und seine Folgen. 
In den ersten christlichen Jahrhunderten kgte die Kirche den reuigen 
Sündern, vor vollständiger Lossprechung von der Schuld, Bußübungen (Kirchen- 
strafen) auf, wie z. B. Fasten und Wallfahrten. Diese Kirchenstrasen durften 
später mit Geld (durch Almosen an Atme, an Stiftungen und Klöster u. s. w.) 
abgelöst werden. Solcher Nachlaß oder Ablaß der Kirchenstrafen brachte 
das unwissende Volk im Laufe der Zeit zu dem Glauben, daß man für Geld 
Sündenvergebung empfangen könne. Zu Luther's Zeit war dieser Glaube
	        
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