II. Völkerwanderung.
Die Hunnen. (375.)
Viele Stunden weit sah man nichts als Gras. Keinen Baum,
kein Haus, keinen Wald und kein Feld — nichts als Gras. Und durch
diese weite Grassteppe jagten vier Reiter. Es waren junge Hunnen mit
gelben Gesichtern und schwarzen, steifborstigen Haaren. Aus dem manns¬
hohen Grase ragten nur ihre hohen, schwarzen Lammsellmützen empor, und
an der Bewegung der gelben Grasähren sah man, wo sie ritten. Mit
den schiefen, schwarzen Schlitzaugen blickten sie scharf über die stille, ein¬
same Ebene, die sich unter dem weiten Himmel wie ein goldig grünes
Meer endlos vor und hinter ihnen ausdehnte. Von Zeit zn Zeit
zielten sie mit dem Bogen mitten im Reiten nach einem Rebhuhn oder
einem Habicht. Als aber gegen Mittag die Sonne immer heißer glühte,
da hielten sie an einem Flusse, wo der Wind kühl über schattige Büsche
wehte. Sie sprangen von ihren Pferden, koppelten ihnen die Füße
zusammen und ließen sie im Grase herumgehen. Jeder zog unter dem
Sattel ein schmieriges Tuch hervor; darin lag ein Stück rohes Pferde¬
fleisch eingewickelt, das in schmale Streifen geschnitten war. Vom
Reiten war es zwischen ihren Schenkeln und dem Sattel warm und
mürbe geworden. Sie hockten sich ins Gras, aßen ohne Salz und
Gewürz das ungekochte dürre Fleisch und tranken aus einer Kürbis-
flasche Pferdemilch dazu. Dann streckten sie sich ins duftige Gras,
legten beide Hände unter den Kopf und schauten am blauen Himmel
den weißen Wölkchen nach und horchten aus das Rauschen der Gras¬
halme und den Gesang der Vögel, bis sie einschliefen.
Da kam aus dem Gebüsche langsam eine Hirschkuh; als aber
die Jagdhunde bellten, floh sie in großen Sprüngen einem Sumpf zu;
die Hunnen nannten diesen Platz das Sumpfmeer, weil sie den Sumpf
für ein wirkliches Meer hielten. Einer der Jäger spannte schon seinen
Bogen, zielte und wollte den Pfeil abdrücken. Der andere hielt ihm die
Hand; „wir wollen erst sehen, wohin sie läuft." Die Hirschkuh sprang