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Hauswand stürzte von selber nieder. Die Steine der anderen Wände 
schleppten die Leute hinab ins Dorf und flickten ihre Häuser damit. 
„Wie elend jetzt der Hof aussieht!" sagte der Mohn zur Kornblume; 
„wir sollten doch einmal hinübergehen und nachsehen! Komm!" — Und sie 
schlichen sich vom Felde hinüber durch den Gemüsegarten in die Stube und 
in die Küche und Kammer und taten, als ob sie zuhause wären. Eine stache¬ 
lige Distel kletterte sogar den Schutthaufen empor und stellte sich neben den 
Holunderstrauch, der aus dem eingestürzten Schlot hervorwuchs. — „Das 
muß ich mir auch ansehen!" dachte der Wald drüben und begann langsam 
zum Hofe herüberzuwandern. Zuerst trat er heraus aufs Feld und machte 
sich dort breit. „Weg da, — ihr!" sagte er zu den hohen, dürren Un¬ 
krautstengeln und stieß sie beiseite. Und wie er im Feld fest Wurzel 
gefaßt hatte, ging er ein paar Schritte weiter zur Wiese. Ein paar Jahre 
darnach kletterte er schon den Abhang herauf, und Tannen und Fichten 
mischten sich im Garten unter die Äpfel- und Pflaumenbäume. Das 
Heidekraut wuchs auf dem Küchenherd; ein Wacholder hatte den Holunder¬ 
strauch vom Schlot verdrängt. Die Hasen spazierten in allen Stuben 
und Kammern aus und ein; wo sonst der Haushund lag, da schliefen 
nun Hirsche und Rehe und Wildschweine, und neben dem Keller gruben 
der Fuchs und der Dachs ihre Höhlen. Und als eines Morgens der 
Brombeerstrauch erwachte und um sich sah, da stand er mitten in Walde. 
Der Wald hatte aber auch fast dreißig Jahre Zeit gehabt, um herüber¬ 
zuwandern. 
Endlich kam der Sohn zurück und suchte das Vaterhaus und fand 
es nicht mehr. Kaum war er selber zu erkennen. Die schwarzen Haare 
waren nun grau; rotbackig und kräftig, auf zwei gesunden Beinen war 
er fortgegangen, auf einem hölzernen Beine, krank und ausgehungert 
stelzte er heim. Er suchte die Wiesen und fand nur Disteln und Unkraut; 
er suchte die Felder und fand nur mehr Ackerfurchen im Walde; er suchte 
Vater und Mutter und fand im Vaterhaus Füchse und Wölfe. Und wie 
er auf der niedrigen Mauer saß, die Augen naß und den schweren Kopf 
zwischen den Händen, da sangen sie unten in der halb eingestürzten 
Dorfkirche das Lied: 
Gottlob, nun ist erschollen 
Das edle Fried- und Freudenwort, 
Daß nunmehr ruhen sollen 
Die Spieß' und Schwerter und ihr Mord.
	        
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