Die deutschen Städte im Mittelalter. 105
das Besteigen der Zinnen. So war jede Stadt eine starke Festung, und „der
Buschreiter, welcher vou seinem Klepper auf den ungeheuren Steinkasten
schaut, denkt begehrlich bei blinkenden Kreuzen und Knöpfen an die tausend
herrlichen Dinge, welche die Stadt seinem Wunsche vorenthält. Aber zwischen
ihm und der Stadt steht auf einem Hügel der Rabenstein, und Krähen fliegen
dort um formlose Bündel an dem hohen Stadtgalgen."
(Fr. W. Barthold uud Gustav Freytag.)*)
Überschrift?
Zusammenfassung: Wie die Bürger des Mittelalters die Stabt be¬
festigten.
3. Wie sah esim Innern der mittelalterlichen Stadt aus?
a) Das Innere der Stadt glich einem großen Dorfe. Da gab es
neben prächtigen Palästen Bauernhöfe mit Viehställeu, Scheunen und
Schuppen; denn viele Bürger hatten vor den Toren der Stadt ihre Äcker,
Wiesen und Weingärten. Die Straßen wanden sich gekrümmt, oft im
Sacke endend, hin und her. Man schloß in Kampfeszeiten fogar einzelne
Gassen durch Tore oder hängte des Nachts Sperrketten ein. Trat Regen-
wetter ein, so war das Betreten der Straße schier unmöglich; der Schmutz
lag oft so hoch, daß man nicht darüber hinwegkommen konnte. Wer in der
Dunkelheit durch solche Straßen gehen mußte, schwebte in stäudiger Gefahr,
sich die Glieder zu brechen; denn tagsüber hatten die Schweine, die sich
nach Herzenslust vor den Häusern tummeln dursten, den Boden tief auf¬
gewühlt. Kehricht- und Düngerhaufen lagen umher. Regenwasser und
allerlei Unrat aus Häusern und Ställen flössen auf den Straßen dahin, un¬
erträglichen Gestank verbreitend. Schleusen gab es nicht. Vor den Haus¬
türen und da, wo Straßen sich kreuzten, erleichterten wohl Holzpfosten den
Übergang über den Schmutz. Erst in späterer Zeit führte in der Mitte der
Straße ein gepflasterter Weg, Bürgersteig genannt, entlang. Unter allen welt¬
lichen Gebäuden ragte das Rathaus hervor. Auf seinem schlanken Turme hing
die Glocke mit den Glöcklein, die zur Rats-, zur Gemeindeversammlung oder
sonstigen ernsten Dingen riefen. Auf ihm lugte der Wächter ins Weichbild
aus. Kirchen, Rathäuser und Kaufhallen wurden gemeinsam mit großer
Ausdauer prachtvoll aufgebaut. Himmelhoch erhoben sich die Türme. Soest,
das späterhin fast zum Dorfe herabsank, zählt noch heute sechs betürmte
Kirchen und Kapellen.
Die Bürgerhäuser blieben Jahrhunderte hindurch sehr einfach. Sie be¬
stünden nur aus Fachwerk und ragten mit dem Giebel nach der Straße.
Die oberen Stockwerke traten über die untern hervor und verengten die
schmalen Gassen so sehr, daß sie kaum den Himmel blicken ließen. So
leichte, beengte Bauart begünstigte die ungeheuren Feuersbrünste, welche
alle unsere Städte oftmals heimsuchten.
(Nach Albert Richter ^Geschichtsbilder^ und Fr. W. Barthold.)
Zur Vertiefung«
Welche Nachteile hatten die schlechten Straßenverhältnisse für die Ge¬
sundheit der Bürger?
*) Friedrich Wilhelm Barthold, Geschichte der deutschen Städte und des deutschen
Bürgertums. Teil III.
Gustav Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenh it.