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II. Bilder aus der Natur
113. Sprichwörter.
1. Der Schein trügt. 2. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. 3. Viel
Geschrei und wenig Wolle. 4. An den Federn erkennt man den Vogel.
114. Der Totengräber.
Ein Mäuslein draußen auf dem Felde war gestorben. Noch gestern
war es lustig und guter Dinge, raschelte behend durch das Gras, und wenn
ein Wanderer des Wegs daherkam, schlüpfte es neckisch in den Bau. Und
gleich darauf schaute es mit den lebhaften Äuglein aus der Öffnung des Loches
wieder so munter in die Welt, als wäre der Wanderer da draußen sein
Freund. Aber da hat es am Morgen Weizenkörner gefunden, die schmeckten
ihm lieblich wie Nußkerne, und es hat wacker drauf los geschmaust. Gleich
darauf aber hat es sich gekrümmt vor Schmerz, hat noch ein paarmal ge¬
zuckt und war dann tot. Das machte: der Mann, der gestern durch das
Feld ging, hatte vergifteten Weizen ausgestreut, um damit die Mäuse, die
allzu sehr überhand genommen hatten, zu töten. Das Schicksal hatte auch
unser Mäuslein betroffen, und es lag nun als kleine Leiche auf dem Acker. Da
hätte es nun wohl gelegen und wäre verwest in der freien Luft, wenn nicht
in einer sonderbaren Weise für sein Begräbnis wäre gesorgt worden.
Als es dunkelte und der Mond am Himmel heraufkam, da begann
das Trauergeläut um das tote Mäuslein. Zuerst erklang ein Glöcklein, das
summte ganz leise, als würde es in weiter Ferne geläutet. Dann klang noch
ein anderes dazwischen und noch eins und noch eins, und dann läuteten sie
zusammen, daß es nur so klang um das tote Mäuslein. Dann kamen die
Totengräber. Von allen Seiten raschelte es durch die Halme, daß diese ihre
Ähren unwillig schüttelten über die nächtliche Störung. Behende Käfer
waren die späten Gesellen. Einer nach dem andern flog herzu, und jeder
kündete sich an durch Summen und Brummen. Man konnte sie für eine
lustige Gesellschaft halten, die in der warmen Sommernacht bei Mondschein
und Sternenglanz umherschwärmen wollte; aber es waren doch finstere Kame¬
raden, die es auf weiter nichts abgesehen hatten als auf das Begräbnis des
toten Mäusleins. Wie rechte Totengräber gingen sie in schwarzem Trauer¬
anzug. Aber ein jeder trug über dem dunkeln Unterkleide zwei breite, rot¬
gelbe Streifen und dazu noch eine goldene Halskrause, als wollten sie dadurch
Trauer und Freude zugleich ausdrücken.
Und nun ging es an das Begräbnis. Von allen Seiten begannen
die Käfer, um das tote Mäuslein zu scharren und zu wühlen. Man meint
wohl, ein Käfer, der noch lange nicht so groß ist wie der Maikäfer, könne gar
wenig schaffen mit seinen schwachen Beinchen; aber die des Totengräbers
sind unten verbreitert und mit scharfen Dornen versehen. Da weicht die
Erde, und der Käfer scharrt mit leichter Mühe eine kleine Grube. Und da