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die wilden Tiere oder die Feinde Gefallenen; Weiber und Kinder kamen
in die übrigen Himmelsräume. Die Seelen der ehrlos Verschiedenen wurden
aber au die bleiche Toteiigöttin Helia verwiesen. Diese hielt sie in ihrem
Reich Nebelheim unerbittlich sest. Da war ein trauriges Zusammensein ohne
Kampf, ohne Freude und Lust.
Das böse Wesen hieß Loki. Von ihm kamen die Übel der Welt. Doch
glaubte das Volk, die guteu Götter würden einst ihren Feind bezwingen
uyd in den Tiefen der Erde festbannen. Darnach würde dann Wodan
Himmel und Erde neu uud schöner umschaffen.
In alten Liedern verehrten die Deutschen auch einen erdgeborenen Gott
Luisko und dessen Sohn Manns als Urheber und Stammvater ihres
Volkes. (Von Tnisko oder Teut leiten manche das Wort „deutsch" ab.)
Dem Manns schrieben sie drei Söhne zu, von welchen die drei Stämme
der deutscheu Völker abstammen sollten.
Im übrigen war nach der Meinung der alten Deutschen die ganze
Natur von göttlichen Wesen belebt: es gab Zwerge und Riesen, Elfen und
Nixen, Kobolde und Feen. Diese waren teils gute, teils böse Geister. Auch
die Wochentage standen unter dem Schutze der Götter, daher die meisten
jetzt noch deren Namen tragen.
Die Priester der Germanen standen in hohem Ansehen, bildeten aber feinen
besonderen Stand. Im Namen des Volkes brachten sie die Opfer dar. Diese
bestanden meist aus Feldfrüchten, Vieh, besonders in wilden Pferden; doch
wurden auch gefangene Feinde geopfert. Gewisse Opserplätze in den Wäl¬
dern hielt man besonders heilig und unternahm dahin selbst aus entfernter
Gegenden Wallfahrten. Den Willen der Götter und die Zukunft erforschte
man auf verschiedene Weise, zuweilen aus dem Wiehern heiliger weißei
Rosse, welche in Hainen der Götter gehegt und gepflegt wurden. Auch ge
wisse Vögel, wie die Eule, der Rabe, der Kuckuck, galten als schicksalver
kündend, eilt Aberglaube, der sich bis in unsere Zeit erhalten hat.
8. Gerichtswesen.
Jeder Hausvater war Herr und Gebieter in seinem Gehöfte und durch
freiwilliges Bündnis mit anderen Hofherren zn einer Gemeinde vereinigt.
Größere Vereinigungen hießen Marken und Gaue.
Jeder Gau wählte einen Vorsteher, den Graf, und die Beisitzer oder
Richter für die Gaugerichte. Alle 14 Tage wurden diese öffentlichen Ge¬
richte unter freiem Himmel gehalten. Der Platz hierzu war durch einen
Baum oder Stein bezeichnet und hieß die Malftatt. In diesen Versamm¬
lungen wurde Recht gesprochen uud Streit geschlichtet. Die Richter
hatten die Anklage zu untersuchen und das Urteil zu sprechen, der Graf
mußte es vollziehen. Bei Anklagen, die nicht vollständig erwiesen werden
konnten, überließ man die Entscheidung einem sogenannten Gottesurteile.
Man glaubte nämlich, die Götter würden dem Unschuldigen unmittelbare
Hilfe verleihen. Zu diesen Gottesurteilen oder Ordalen gehörte der Zwei¬
kampf, die Feuer- und Wasserprobe u. s. w. Beim Zweikampf galt der
Besiegte für schuldig. Bei der Feuerprobe mußte der Angeklagte glühendes
Eisen in die Hand nehmen oder mit bloßen Füßen über glühende Kohlen
laufen; bei der Wasserprobe ließ man ihn einen Ring oder einen Stein
ans siedendem Wasser holen. Blieb er unverletzt, so war er unschuldig. Bei
dem Bahrgericht mußte der eines Mordes Verdächtige an die Bahre treten
und den Leichnam berühren; bluteten die Wunden, so wurde er schuldig
erklärt.