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trüben -lagert wurde es in den engen Gassen und den düsteren
Stuben kaum wirklich Tag. Die Menschen verkrochen sich dann
mit den notwendigsten Hantierungen in die Herdstube, in der allein
eine erträgliche Temperatur herrschte. Dem Meister der Zünfte
gestattete der spät beginnende Tag und die früh einfallende Dun¬
kelheit nur wenige Arbeitsstunden. Nur die Gewerke, die beim
schein des Herdseuers oder bei der Kiensackel arbeiten konnten,
als Schlosser, Schmiede, Böttcher und einige andere, dehnten den
Arbeitstag bis zur Feierabendglocke aus.
Dazu kamen noch Entbehrungen anderer Art. Die ohnehin
schlechten Landwege waren im Winter kaum zu benutzen, und die
Zusubr bon Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen, wie der
Thüringer Wald sie lieferte, konnte naturgemäß nur sehr spärlich
sein. Es geschah wohl nicht nur zu Kriegszeiten, wo die Straßen
durch feindliche Reiter gesperrt waren, daß die Köhler vom Walde
nicht in die Stadt kommen konnten und daß die ganz unentbehr¬
liche Holzkohle sehlte, daß die Bauern nichts zum Markte brachten
und der Tisch selbst mit Fleisch nur mühsam versorgt werden
konnte. Auch die offenen Brunnen versagten oft im Winter, und
die Hausfrauen mußten Eis und Schnee auftauen, um das not¬
wendige Kochwasser zu gewinnen. — So lebten die Menschen dumpf
und freudlos in ihren vier Pfählen während der weitaus größten
Zeit des Jahres dahin. Sie entbehrten alle die Zerstreuungen,
die uns den Winter zu einer Zeit besonderer Vergnügungen
machen, und nur an Sonn- und Feiertagen mögen Schnee- und
Eisspiele eine dürftige Abwechslung geboten haben.
Wer all diese Leiden imt> Entbehrungen sich vorzustellen ver¬
mag. der kann auch die maßlose Freude und zugleich die tiefe
Innigkeit verstehen, mit der unsere Vorfahren den Frühling be¬
grüßten. Er war ihnen im wahrsten Sinne des Wortes ein Leben-
und Lichtbringer. Er sprengte nicht nur Eisdecken und Knospen¬
hüllen, er sprengte auch Türen und Fenster und trug seinen be¬
lebenden Odem durch die Gassen und rief die Menschen aus der
Nacht des Winters an den Tag der Freude. Frühlingsfeste ent¬
sprachen darum einem aus der Tiefe des Gemüts nach Betäti¬
gung drängenden Gefühl. Auch im alten Erfurt wurde ein solches
Fest mit großem Glanz und unter Anteilnahme der ganzen Bür¬
gerschaft begangen: der Walperzug (f. Religion der alten Thü¬
ringer, Nr. 6). (Nach L. Rohmann it. a.)
32. Erfurter ßandel und ßandelsltrafoen.
Soweit sich Erfurts Geschichte zurückverfolgen läßt, hängt sie
aufs engste mit Handel und Handelsstraßen zusammen.
Erfurt als Markt: Schon der weitsichtige Blick Karls des
Großen erkannte die überaus günstige Lage der Stadt. Er be-