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XXIV. Die Befreiungskriege.
1. Preußens Wiedergeburt. Friedrich Wilhelm III.
Durch das Unglück der Jahre 1806 und 1807 war es offen- •
bar geworden, daß viele Einrichtungen des preußischen Staates
höchst mangelhaft waren. Kurz nach dem Tilsiter Frieden begann
König Friedrich Wilhelm III., der von 1797 bis 1840 regierte,
das Werk der Verbesserung.
Bis dahin hatten die Adeligen alles gegolten, die Bürger
und Bauern nichts. Die sogenannten Rittergüter konnten nur
von Adeligen gekauft werden; ein Adeliger konnte nur Guts¬
besitzer, Offizier oder Beamter sein — jede andere Beschäftigung
galt ihm für ungeziemend. Die Bauern waren zum größten
Teil Leibeigene der adeligen Gutsbesitzer, d. H. sie wechselten,
wenn das Gut verkauft wurde, den Herrn, gegen dessen Willen
sie nicht wegziehen, sich verheiraten oder aus irgend eine Art
selbständig werden konnten. Den Leuten, die nicht von Adel
waren, war der Weg zu höheren Staatsämtern und Offizierstellen
verschlossen. Die Stadtbürger dursten bei der Verwaltung ihrer
städtischen Angelegenheiten nicht mitsprechen, sondern mußten
lediglich den Befehlen der königlichen Beamten gehorchen.
Vom Spätjahr 1807 an erließ König Friedrich Wilhelm III.
eine Reihe von Verordnungen und Gesetzen, die alle den Zweck
hatten, die bürgerlichen Rechte und Freiheiten festzustellen, den
Wohlstand zu vermehren und den vaterländischen Sinn zu beleben.
Die Leibeigenschaft der Bauern wurde aufgehoben, die Leute von
bürgerlichem Stande konnten Rittergüter kaufen, die Adeligen
Bauerngüter besitzen und jedes ehrbare Gewerbe treiben; jeder
Preuße, ohne Unterschied des Standes, konnte Beamter oder
Offizier werden. Die Städteordnung vom Jahre 1808 bestimmte,
daß die Stadtbürger ihre Stadtobrigkeiten selbst wählen und
ihre städtischen Angelegenheiten selbst verwalten sollten. Bald
folgte auch die Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit und
die bürgerliche Gleichstellung der Juden. Der Mann, aus dessen
Rat der König alle diese Verbesserungen einführte, war ein Edel¬
mann aus dem Rheingau, der Freiherr Heinrich Friedrich Karl
vom und zum Stein, welcher mit Recht genannt worden ist
„alles Bösen Eckstein, alles Guten Grundstein, aller Deutschen
Edelstein". Der Kaiser Napoleon sah recht wohl ein, daß der
preußische Staat durch die Tätigkeit des Freiherrn vom Stein
eine Kraft gewinne, die der Franzofenherrschaft in Deutschland
gefährlich werden sönne; darum erklärte er 1808 den Freiherrn
für eine» Unruhestifter und gemeittfchädücheit Menschen, befahl,
dessen Güter einzuziehen und ihn selbst zu verhaften. Der König
hatte nicht die Macht, feinen Minister zu schützen, und Stein
mußte nach Rußland entfliehen.