Full text: Bergers Erzählungen aus der Weltgeschichte

Jetzt erst überlegte der Herzog seine rasche Tat; er eilte 
Odilia entgegen und wars sich ihr reuig zu Füßen. Er wollte 
alles wieder gut machen und den edelsten seiner Ritter zu ihrem 
Gemahle erküren. Davon wollte seine Tochter nichts wissen. Gott 
hatte ihr das Augenlicht geschenkt, ihm wollte sie zeitlebens dank¬ 
bar sein, eine reine Braut des Himmels bleiben. Bor dem 
drängenden Vater entfloh sie über den Rhein, und als er sich 
ihr schon nahte mit dem Bräutigam, war wiederum Gott ihr 
Retter. Ein Felsen tot sich aus, und Odilia verschwand vor 
den Blicken ihrer Verfolger. Heute noch trügt der Felsen ihren 
Namen; es ist der Odilienberg bei Freiburg. 
Das neue Wunder änderte den Sinn des Wüterichs. Ter 
heimkehrenden Odilia schenkte Attich die Hohenburg, damit sie da 
ein Kloster errichte, und außerdem manche Hufe Landes, manch' 
prächtigen Wald, auch eine Anzahl Städte und Dörfer, die für 
den Unterhalt des Klosters zu sorgen hatten. 
4. Die hl. Odilia, die erste Äbtissin des Klosters. 
Jetzt hatte Odilia das Ziel ihrer Wünsche erreicht. Sie führte 
ein heiliges Leben, das nur den Werken der Barmherzigkeit geweiht 
war. Pilger kamen von fern und nah. Als eines Tages ein 
armer Greis mit einem blinden Kinde die steile Höhe hinanschritt, 
um bei der Gottgeliebten Hilfe zu suchen, trat Odilia ihm ent¬ 
gegen , schlug mit ihrem Stabe gegen einen Felsen — und ein 
rauschender Ouell sprang aus demselben. „Die Augen deines 
Kindes sind hell wie dieser Brunnen", sprach sie — und das 
Kind war sehend. 
Rach dem Tode ihres Vaters, der in tiefer Reue über seine 
Länden aus dem Leben geschieden war, betete und weinte sie für 
seine Seelenruhe, daß von den Tränen, die aus ihren Augen aus 
den Felsen tropften, ein tiefes Loch in demselben entstand. Jetzt 
steht an dieser Stelle die Zährenkapelle. 
Arme und Kranke, Hilflose und Schwache, Bresthafte und 
Aussätzige waren ihre Freunde. Ihr Ruf zog viele Gleichgesinnte 
an. oie wurde die erste Äbtissin des Klosters. Als es zum Tode 
ging, erschien ein Engel und brachte ihr in einem Kelche den Leib 
des Herrn. Lange wurde der Kelch auf Hohenburg, später in 
Zubern gezeigt. Gesegnet und tief betrauert von den Armen dieser 
Welt entschlief sie unter dem Gebet ihrer Mitschwestern i. I. 720. 
5. Das Reichs land zur Zeit d er Karolinger. 
Die größte Ausdehnung und höchste Macht gewann das 
Frankenreich zur Zeit der Karolinger, unter denen Karl der Große 
als der gewaltigste Herrscher hervorragt. Dieser Fürst hielt sich 
gerne im Elsaß auf. Als er im Jahre 776 zum zweitenmal
	        
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