Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns

27. Eine Festschule der Meistersinger. 
131 
sah, daß alles gut war". Der Arme war verlegen, er stockte und eifrig sah 
man bie Merker Striche machen; er hatte Silben tierfungen und mußte zu¬ 
letzt auf Geheiß des Merkers den Stuhl verlassen. In der „Hageblüten Weife" 
ließ sich dann vorn Singstuhl herab vernehmen ber würdige Hans Sachs; sein 
Kopf war schon glatt und nur bas Kinn schmückte ein voller Bart. Alles 
horchte voll Artbacht auf, als er in einem neuen Tone gemäß ber Offenbarung 
ben Herrn beschrieb, an bessert Stuhl ber Löwe, ber Stier, ber Abler und 
ein Engel Preis, Ehre unb Dank sangen. Als er geenbet, ba waren alle voll 
Entzücken unb kaum konnte noch nach ihm ein junger Meister Niklas Vogel 
von schwäbischer Herkunst, ber im Hoftoue bes Schillers „ein neu Lied von 
dem verlorenen Sohn" anstimmte, die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesseln. 
Auch bei ihm sah man eifrig die Merker ihre Striche machen und die Silben 
zählen, die er tierfungen. 
Als er fein Gedicht beendet, verließen die Merker ihren Sitz um zu Rate 
zu gehen, wie ein jeder bestanden. Die beiden jungen Meister hatten manche 
Fehler gegen die Tabulatur begangen; der eine hatte eine „blinde Meinung" 
verbrochen und war durch Auslassung von Worten unverständlich geworden. 
So viel Worte blind d. h. ausgelassen waren, für so viel Silben sollte er 
bestraft werden; ein Merker warf ihm auch „Laster" vor, b. H. unreine Vokal¬ 
reime, vor allem aber würbe bcm einen ber „Stutz" schlimm angerechnet, weil 
er stillgehalten, wo er nicht anhalten bürste. Niklas Vogel hatte seine schwä¬ 
bische Aussprache noch nicht ganz abgelegt, aber boch bie Reinheit ber Vokale 
beobachtet; schlimm aber war es, baß er sich ber „Klebfilben" nicht enthalten, 
„keim" für „keinem", „im" für „in bem", „vom" für „von bem" gesungen, 
auch „Milben" gebraucht unb statt „fingen" „finge" gesagt um auf „Dinge" 
zu reimen. Am Ton war weniger zu tabeln; keiner hatte benfelben burch unb 
durch aubers gesungen, als ihn ber Meister gebichtet. Sonber Zweifel hätte 
Nachtigall ben Preis gewonnen, wenn nicht nach ihm Hans Sachs gesungen; 
nur einmal wollte ber Merker eine „falfche Blume" gehört haben, wo burch 
an einer Stelle ber Ton unkenntlich geworben fei. 
So trat beim ber erste Merker an Hans Sachs heran unb hing ihm 
eine lange silberne Kette von großen, breiten, mit bett Namen ber Geber be¬ 
zeichneten ©liebern um, woran eine Menge von Pfennigen verschobener Art 
gebunben war. Konrab Nachtigall warb der zweite Preis zuteil, ein von 
seidenen Blumen verfertigter Kranz, den ihm der andere Merker aufs Haupt fetzte. 
Es war Brauch, daß die Meistersinger, insonderheit die jüngeren, sich 
nach der Festschule in eine nahegelegene Schenke begaben, wo in bemselben 
Grabe frohe Ungebunbenheit herrschte als in ber Kirche heiliger Ernst. Hier 
sollte ehrbare, ehrliche, sriebliche Zech gehalten unb ein Zechkrauz zum besten 
gegeben werben, bamit, wer wolle, barum singen möge. Alles Spielen, nn- 
nützes Gespräch unb überflüssiges Trinken, alle Strafer unb Reizer (Straf- 
unb Reizlieber), woraus Uneinigkeit entstehen könnte, waren untersagt; keiner 
9
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.